truth or dare: Into the groove: Eine Woche mit Madonna
Das erste Konzert
Man merkt es schon am Rosa-Luxemburg-Platz, dass nicht viel geht auf der Schönhauser Allee: Rückstau bis zum Alexanderplatz, nur Fahrradfahrer und Fußgänger kommen noch durch. Madonna hat den Prenzlauer Berg fest in ihrer Hand. Schön aber, dass die kleinen Straßen rund um die Max-Schmeling-Halle abgesperrt sind, die Gaudy- die Mila- und die Cantianstraße: Piazzafeeling, Italien, Sonne. Was Madonna alles kann, ganze Stadtviertel weiß sie neu zu erfinden!
Überall stehen Leute mit Schildern in der Hand, die noch Karten für das Konzert haben wollen. Auch Thorsten und Werner Sohn, die eigentlich zu Limp Bizkit wollten (da sind sie unter Ihresgleichen) und erst am Mittwoch zu Madonna. Limp Bizkit aber fallen aus, also versuchen die Sohns es schon heute, noch Karten zu bekommen. Der Schwarzmarkt floriert, unter 500 Mark geht gar nichts. Nirgends zu sehen die beiden finnischen Mädchen Hanna, 19, und Sointu, 24. Sie sind schon in der Halle.
Das Konzert beginnt nicht ganz pünktlich um 20 Uhr, sondern 20 Uhr 06. Alle Lichter sind auf sie gerichtet, die einen Schottenrock trägt und eine E-Gitarre hält und das Konzert mit dem Song „Drowned World“ beginnt. Es folgen „Impressive Instant“ „Candy Perfume Girl“, „Beautiful Stranger“ und der erste große Hit „Ray of Light“. Spätestens jetzt hat Madonna ihr Publikum. Die 10.400 Leute in der Max-Schmeling-Halle sind begeistert, sie toben sozusagen, endlich sehen sie „die letzte Göttin“ (Stern)
Viele Jüngere haben versucht, sich wie Madonna zu kleiden, und gehen entweder im Cowgirl-Dress, als Schwarzkittel oder als Sexmonster. Die Älteren sind da drüber hinweg, die sehen aus, als seien sie direkt aus ihren Büros, Krankenhäusern und Start-up-Klitschen gekommen: Madonna ist ein Weltstar und als solcher einer für die ganze Familie.
Die ersten Feuerzeuge gehen an, als im Hintergund der Bühne ein Geisha-Film gezeigt wird und ankündigt, was als nächstes kommt: Madonna als Geisha-Girl. Zu „Paradise“ ist sie noch nicht auf der Bühne, doch zu „Frozen“ erscheint sie in einem schwarzen Kimono, flankiert von zehn männlichen Tänzern. Irgendwann tut sie so, als würde sie einen von ihnen erschießen. Großes Kino! Vom Schwertfilm wechselt Madonna nach dem instrumentellen Zwischenspiel „What It Feels Like For A Girl“ in den US-Western: Sie trägt jetzt Jeans und T-Shirt und performt den Song „I Deserve It“ mit einer Akustikgitarre. Es folgen Coverversionen von Bob Dylans „Knocking On Heaven’s Door“ und Neil Youngs „Tonight’s The Night“. Danach „Confusion Is Next“ und „Teen Age Riot“ von Sonic Youth. Sonic Youth? Ja, Sonic Youth, gleich zweimal. Was ist bloß in Madonna gefahren? Das Publikum ist irritiert, es weiß damit nichts anzufangen. Es versteht die Hommage nicht, Madonnas Dankeschön für das Ciccone-Youth-Cover „Into The Groove“. Wo doch bisher alles so perfekt war! Genau wie in Barcelona! Genau, wie es in der Zeitung stand!
Madonna aber bekommt die Kurve wieder. Sie zieht jetzt endgültig alle Register ihres Könnens und erfindet sich ein weiteres Mal neu. Das Intrumental von „Don’t Cry For Me Argentina“ leitet die spanisch-lateinamerikanische Phase ein, und im Flamenco-Style geht es bunt und rasant über zu „Holiday“ und „Music“, die Madonna im Pelzmantel singt.
Ein Erlebnis, alle werden ihren Enkelkindern davon erzählen! Und alle, ausnahmslos alle teilen die Meinung der an diesem Abend leider nicht anwesenden Barbara Becker: „Diese Frau ist einfach so wandlungsfähig“. GERRIT BARTELS
Morgen: Eine erste Analyse
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