tod, soziale plastik etc. : Geltungsdrang
Der amerikanische Videokünstler Bill Viola hat seinen sterbenden Vater gefilmt, die französische Kunstspionin par excellence, Sophie Calle, das Sterben ihrer Mutter. Ihr nachdenklicher Film „Pas pu saisir la mort“, der im letzten Sommer auf der Biennale von Venedig zu sehen war, erhielt einige zustimmende Aufmerksamkeit im Feuilleton. Größere Aufregung riefen beide Dokumentationen nicht hervor; ganz im Sinne ihrer Produzenten, deren Anliegen es war, eine zeitgenössische Form der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Tod zu finden.
Sie wollten auch nicht gleich eine „Debatte anstoßen“. Das will nun der in Rheydt geborene deutsche Künstler Gregor Schneider. Über das heute angeblich so schrecklich tabuisierte Thema Tod und die damit zwangsläufig menschenverachtende Form, in der heute gestorben werden muss. Darunter tut er es nicht. Gregor Schneider sucht also nach Freiwilligen, um deren Sterben als Kunstwerk auszustellen: Joseph Beuys’ soziale Plastik – die Big-Brother-Version.
Apropos Joseph, in Rheydt kam nicht nur Schneider, sondern auch Joseph Goebbels zur Welt, ein Meister nicht nur der Propaganda, sondern auch der Selbstpropaganda. Aber das tut ja nichts zur Sache. Gregor Schneider jedenfalls kann nicht einfach „einen Beitrag leisten“. Etwa zum Tod als Thema der zeitgenössischen Kunst oder zur Frage eines menschenwürdigen Sterbens. Als Beitrag zu einer Ausstellung von Kasimir Malewitsch (Das Schwarze Quadrat) in Hamburg endete der abstrakte, an die Kaaba in Mekka gemahnende schwarze Kubus, mit dem Schneider 2005 eine ganz wichtige Debatte anstoßen wollte – wahrscheinlich über den Islam, so genau wissen wir es nicht. Denn den Würfel auf dem Markusplatz von Venedig aufzustellen, verwehrten ihm – Skandal, Skandal – die italienischen Behörden.
Es folgte wunschgemäß eine Debatte über die Freiheit der Kunst und über die Feigheit des Westens, seine eigenen Werte zu verteidigen mit dem wunderbaren Mantra Gregor Schneider, Gregor Schneider, Gregor Schneider. Und auch jetzt tut alle Welt wieder so, als handle es sich bei Schneiders Projekt um ein diskussionswürdiges Anliegen. Dafür ist es aber in Organisation und Planung zu wenig fortgeschritten. Obwohl der Künstler seinen Plan angeblich schon seit Jahren verfolgt, kann er weder den Freiwilligen nennen, der im Kunstraum sterben will, noch kann er den Raum präsentieren, in dem seine Kunst des Sterbens stattfinden soll. Gar nicht zu reden vom Haus Lange, von dem er in seiner Verlautbarung spricht. Schließlich hat er es ja nicht für nötig befunden, mit den Verantwortlichen der betroffenen Institution überhaupt zu sprechen, bevor er ihr Haus als seines ausgab. Im Spiel, die Medien in Zugzwang zu bringen, ist Gregor Schneider jedenfalls ein Meister. Dem immer erwünschten Aufreger steht die Hohlheit der Sache nicht entgegen. Dabei den Geltungsdrang des Künstlers zu thematisieren, erledigte ihn und verbietet sich daher. BRIGITTE WERNEBURG