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Archiv-Artikel

theorie und technik Nazis und Goldmünder

Stimmenfänger müssen auch Stimmwunder sein

Wenn man die Lauscher aufstellt, dann kann man sie noch hören: jene Stimmen von 2002, die vorgaben, die des Volkes zu sein, und vor deren Lärm uns niemand bewahrte. Das schrille Zuwanderungsgesetzgeschrei und das Echo auf Möllemanns Grußwort („Noch nie war Ihre Stimme so klar“) waren kaum verhallt, da schickte sich schon der Nächste an, um unaufgefordert seinen „Klartext“ in die Öffentlichkeit zu blöken. Elmar Brandt, der sich wie seine politischen PR-Vorbilder auf die wehrhafte Demokratie berief, ließ bekanntlich nichts unversucht, um seine sonore Leihstimme aus der allgemeinen Kakophonie zu erheben. Schade nur, dass den computergestützten Abgleich mit dem Kanzler eine andere Firma (VoiceTrust) besorgte als im Falle der mutmaßlichen Bin-Laden-Doubles. Was hätte man sich sonst den Mund fusselig reden können über das Timbre des Terrors, das Grauen der Gutturallaute, die Vokale der Vox Populi!

Dass den Leuten nicht zu trauen ist, die ihre Stimme medientechnisch aufrüsten, um deren kollektive Wirksamkeit zu preisen, wissen wir – derlei Vergleiche sind ja inzwischen salonfähig – spätestens seit Adolf Hitler und John Farnham. Musste der Führer noch große Menschenmengen mit geringen Dezibelzahlen in Ekstase schreien, so konnte der australische Volkstribun im auslaufenden Kalten Krieg längst auf die Unterstützung leistungsstarker Verstärker setzen, um im Endeffekt die gleichen Glaubenssätze zu verbreiten: „You’re the voice, try and understand it / Make a noise and make it clear oh-woh / We’re not gonna sit in silence / we’re not gonna live with fear oh-wo.“

Der Tagungsband des Potsdamer Einstein Forums „Zwischen Rauschen und Offenbarung“ behandelt die Brisanz der Stimme im Doppelsinn von voice und vote. Claudia Schmölders relativiert darin die Bedeutung von Rundfunk und Lautsprecheranlagen für den Erfolg Hitlers: „Beides hat ihm – wie den anderen Diktatoren der Zeit – natürlich zum Durchbruch verholfen; aber demagogisches Charisma bedarf dieser Technik keineswegs, sondern wird auch und gerade in mikrosozialen Verhältnissen über unmittelbare Rede erlangt und stabilisiert. Jeder Stammtisch beweist dies.“ Als Prototyp der Agitationsanleitung könne die NS-Rednerschule von Fritz Reinhardt gelten, bei der die Ausbildung bezeichnenderweise stumm und rein brieflich verlief. Theatralische Performance war nicht angestrebt, sondern „eine bösartig wortlose Effizienz“.

Der Faschismus gab sich eine Melodie, die bestehende Unsicherheiten oder innere Zerrissenheit mit einem kraftvollen Unisono überdeckte. Später schoben die meisten Nachkriegsdemokratien ihre großen Oratoren in die parlamentarischen Ausschüsse ab und setzten ein Reeducation-Programm unter der Leitung von Jacques Derrida ein. Dessen sprachphilosophische Austreibung der (sich) selbstbewussten Stimme begann ironischerweise, als die Popmusik genau damit gegen die Einebnung der Vielstimmigkeit im politischen Prozess aufbegehrte. Für den slowenischen Philosophen Mladen Dolar übrigens ein altes Lied: Schon in vormoderner Zeit habe der Gesang „ein Misstrauensvotum“ artikuliert, sobald er vom Wortlaut der Liturgie abwich und dadurch „eine gefährliche Kraft“ für Päpste und andere Ordnungshüter entfaltete. Klartextsprecher und Steuersongschreiber müssen diesen nachhaltigen Sound erst noch erlernen.

JAN ENGELMANN

Friedrich Kittler, Thomas Macho, Sigrid Weigel (Hg.): „Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kultur- und Mediengeschichte der Stimme“. Akademie Verlag, München 2002, 410 Seiten, 39,80 €