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theorie und technikGustavo Bueno und Dietrich Schwanitz erkunden die Frontlinien im Kulturkampf

Alles, was man übersetzen muss

Spanien hat es besser. Staatliche Fördermittel sprudeln und das Sponsoring der Banken ist eine verlässliche Größe. In einem gesellschaftlichen Klima, das unter fortgesetztem ETA-Bombenterror leidet, gibt es zumindest einen parteiübergreifenden Konsens darüber, Bibliotheken und Theater als Mittel der Zivilisierung zu stärken. Jede spanische Institution entrichtet ein „Kulturprozent“, das direkt in Infrastrukturmaßnahmen fließt.

Der Kontrast zu Deutschland, wo es angesichts knapper Finanzen periodisch zu Untergangsklagen kommt, könnte also nicht größer sein. Integrative „Kulturfakultäten“, wie sie etwa Ortega y Gasset vorschwebten, sind weithin nicht in Sicht. Von der Krise hat allein Dietrich Schwanitz profitiert, der mit seinem Bestseller „Bildung. Alles was man wissen muss“ einen quijotesken Sturmangriff auf die Trutzburg des Kanons ritt und dem Sancho-Pansa-haften Mut zur Lücke zu neuem Prestige verhalf. Nun ist auch die spanische Übersetzung des drei Jahre alten Bestsellers erschienen: „La cultura. Todo lo que hay que saber.“ Bezeichnenderweise wurde im Titel „Bildung“ gegen „Kultur“ getauscht, um die grüblerische Angestrengtheit, die der Kultur in Deutschland anhaftet, gleich mit zu exportieren. Die spanische Literaturkritik stieß sich erwartungsgemäß an dem selbstgewissen Anspruch, mit nur einem Buch deren tausend zu ersetzen, und bezeichnete es – zumal darin Spanien als hornochsiges Macho-Paradies geschildert wird – als „stark germanozentrisch“.

Also muss es jemand anders richten. Der spanische Philosoph Gustavo Bueno, in der Heimat für seine Polemiken geliebt, unternimmt in „Der Mythos der Kultur“ den Versuch, einige Schneisen durch die „wilde Vegetation“ der Kulturdefinitionen zu schlagen: „Essay einer materialistischen Kulturphilosophie“ lautet der Untertitel.

Nachdem Herder als Erster Kultur im Plural geschrieben und Hegel sie metaphysisch überhöht habe, sei der „deutsche Weg“ (G. Schröder) zum „Pfad des Spiritualismus“ geworden. Kultur galt den Romantikern als authentischer Ausdruck eines Volksgeistes, für den dann Richard Wagner die passenden Libretti lieferte. Bueno hält die damit vollzogene Objektivierung von Kultur für so wirkungsmächtig, dass sie auch heute noch ständige Bedrohungsszenarien in Gang setze. Es stimmt ja: Kultur ist derzeit ein Mehrfrontengefecht. An der humanistischen Front überbieten sich amerikanische und deutsche Intellektuelle mit Manifesten im Kampf gegen die Barbarei, an der ethnischen Front verlangt Katalonien immer mal wieder eine eigene Fußball-Nationalmannschaft und an der akademischen Front warnen Geisteswissenschaftler vor skrupellosen Genforschern.

Was dies nun wieder mit Dietrich Schwanitz zu tun hat? Indem er gegen das elitäre „Imponiergehabe“ zu Felde zog, spekulierte er auf die leichte Erregbarkeit an der vierten, der Statusfront, wo sich Reclamheftbeschmierer und Goldrandgesamtausgabenbesitzer gegenüberstehen. Während er sich dabei als frecher Uni-Renegat inszenierte, scheint Bueno ganz andere Ambitionen zu haben. Denn die unterhaltsame Wissensvermittlung ist seine Sache nicht. Er bedient sich einer Sprache, deren unschönes Vokabular („peristatische Situation“, „gnoseologische Matrix“, „megarische Identität“) nicht weniger als ein 34-seitiges Glossar benötigt. Vielleicht hat es Spanien ja doch nicht so gut, wie man immer dachte. JAN ENGELMANN

Dietrich Schwanitz: „La cultura. Todo lo que hay que saber“. Aus dem Deutschen von José Manuel Álvarez Ibáñez. Taurus, Madrid 2002, 558 S., 24,95 €ĽGustavo Bueno: „Der Mythos der Kultur. Essay einer materialistischen Kulturphilosophie“. Aus dem Spanischen von Nicole Holzenthal. Peter Lang, Bern 2002, 379 S., 49,60 €

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