theorie und technik: Wie Texte zu großer Form auflaufen: Mutmaßungen der Kulturwissenschaft
Faserlandlose Gesellen
Auf einen toten Gaul einzuprügeln ist, wie es der Engländer mit der Redewendung „to flog a dead horse“ meint, pure Zeitverschwendung. Aber hat dies mal einer dem deutschen „Geheimratsjournalismus“ (Roger Willemsen) gesteckt, der seit Monaten einige Anstrengung darauf verwendet, um die bedröppelt dreinschauenden Jungspunde von der Popfraktion nachträglich noch mal so richtig in die Pfanne zu hauen? Ganze Heerscharen von Lacanianern könnten sich daran abarbeiten, diese selbstgerechte Häme gegenüber jugendkultiger Subjektivität und Kraftmeierei auf ihr Unbewusstes hin zu lesen.
Tja, und genau in der eben von mir geäußerten Unterstellung liegt der Hase im Pfeffer. Das Einfädeln von Big Names (wie Lacan) in einen Text, um dessen Legitimität abzusichern, gehorcht eher dem Gestus der kühlen Wissenschaft, während Übertreibungen und gewagte Vergleiche („Nick Cave ist der Billy Idol Gottes“) eher dem Gestus der heißen Popemphase entsprechen. Der Mix aus beiden Registern scheint die Altvorderen mächtig auf die Palme zu bringen.
Doch offiziell begründen sie den Vorwurf, der Popdiskurs habe seine mangelnde Substanz offenbart, mit der kulturwissenschaftlichen Verblendung seiner Vertreter: „In ihren Universitätsseminaren haben sie den Quatsch vom Tod des Autors wirklich geglaubt, vom Verschwinden des Subjekts und dessen Nichtigkeit gegenüber den Zeichenuniversen der Gegenwart, Sprachen und Klängen, Waren und Daten“, wetterte etwa Thomas E. Schmidt neulich in der Zeit.
Doch das eigentliche Problem sind nicht die akademischen Inhalte, sondern der Tunnelblick, der an den Universitäten eingeübt wird. Für Michael Eggers, Mitherausgeber des Bandes „Der Stoff, an dem wir hängen“, verschleiert die „Kulturwissenschaftlichkeitsrhetorik“ nur allzu gern ihre Abhängigkeit von Formulierungskniffen und Autoritätseffekten. Das dort geltende Gesetz, die Ich-Position stets zu umschiffen, zeige „ein dogmatisches und idealisierendes Verständnis von Wissenschaftssprache“. Deren gute Anteile (Argumentation, Akkuratesse, Didaktik) werden also schon institutionell davor bewahrt, sich mit jenen des Popdiskurses (Verve, Spekulation, Schnelligkeit) zu verbinden.
Brigitte Weingart schlägt deshalb unter dem Begriff „Faszinationsanalyse“ einen neuen Umgang mit Subjektivität vor. So müsse man von der arbeitsteiligen Situation wegkommen, dass einerseits Fans immer mit ihrer angeblich „echten“ Begeisterung hausieren gehen, während andererseits Uniprofessoren ihre Erregungszustände sublimieren. Doch wie ist dieser doppelten Glaubwürdigkeitsfalle zu entgehen? Sicherlich nicht einfach dadurch, dass man Dünkel-Dieter auf die Rock-’n’-Roll-Highschool und Pop-Paule in die Graduiertenkollegs schickt.
Vielmehr braucht es die Bereitschaft, das eigene Schreiben von seinen Fixierungen zu lösen – sei es nun im abgesicherten Hochkulturmodus oder beim großmäuligen Gonzo-Style. Einmal von den „diskursiven Stoppregeln“ (Weingart) befreit, könnten dann riskante Texte gedeihen. Man stelle sich das einmal vor: eine Kulturkritik ohne die herrische Pose des Scharfrichters, eine Wissensordnung ohne ihren routinierten Vollzug, eine Diagnose des Jetzt ohne Lob der Oberflächen. Mit solchen Texten, als faserlandlose Gesellen verschrien, würde man wohl gern Pferde stehlen gehen. JAN ENGELMANN
Gerald Echterhoff/Michael Eggers (Hg.): „Der Stoff, an dem wir hängen. Faszination und Selektion von Material in den Kulturwissenschaften“. Königshausen & Neumann, Würzburg 2002. 154 Seiten, 19,80 €
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