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Archiv-Artikel

themenläden und andere clubs Pärchen stinken, Pärchen lügen, Pärchen winken und fahr’n nach Rügen

Die Clique bietet dem Einzelnen das größtmögliche Maß an Freiheit und Sicherheit

’s ist wieder Winter geworden, leise rieselt der Schnee, und trotz alledem ist überall eine Aufbruchstimmung zu spüren. Das Stadtmagazin tip hat als Erstes Wind davon bekommen und dem Phänomen gleich die Titelseite gewidmet. Große Überraschung: Ausgehen ist der neue Trend! Trinken, Tanzen, Rumstehen ist wieder voll im Kommen! Man spürte schon seit zwei Wochen einen gewissen Erlebniswillen, einen Hunger nach Ausgehschicksal in der Stadt.

Ekstatisch wurde im Bad Kleinen zu ausgestorbener Musik auf dem Vulkan getanzt, bei Kissogramm quoll die Heeresbäckerei über, auf der Separitas Gala im Café Moskau wurden am Wochenende gute alte Tugenden hochgehalten: Im Flur ist es immer am schönsten, die erste Band spielt nicht vor drei, schlafen kann ich, wenn ich tot bin. Die Partnertrennungsagentur Separitas, ein Unternehmen des Möbel-Moguls Horzon, hat es sich dankenswerterweise zur Aufgabe gemacht, trennungswillige Paare zu unterstützen. Diese Zielsetzung hängt ja ganz stark mit dem neuen Trend Ausgehen zusammen. Ausgehen und Pärchentum, das ist wie Feuer und Wasser, darauf kann nicht genug hingewiesen werden! Wie heißt es so schön in dem Lied „Die Pärchenlüge“, das die Verfasserin dieser Zeilen selbst in jugendlicher Altersweisheit vor vielen Jahren verfasst hat: „Pärchen stinken, Pärchen lügen, Pärchen winken und fahr’n nach Rügen.“

Leider werden trennungwillige Paare viel zu selten unterstützt, im Gegenteil, in so genannten Lifestyle-Frauen- und -Männnermagazinen werden unverantwortliche, sinnlose, ja gefährliche Tipps zur Belebung einer abgestorbenen Beziehung gegeben. Das geht von der Aussprache zur Ölmassage, vom Sektfrühstück zum Abenteuerurlaub. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ – „Mut zur Trennung!!“ will man diesen verantwortungslosen Paarapolegeten und den verwirrten Pärchenopfern entgegenschleudern! Aber zurück zum Thema: Ausgehen macht zuerst einmal nur in der Clique oder als Einzelperson Sinn, auch vor nicht sexuell-emotional strukturierten Zweierkonstellationen muss gewarnt werden! Es ist unsinnig, sich den ganzen Abend auf ein Gegenüber zu konzentrieren, reden kann man schließlich auch am Telefon.

Die Clique bietet da viel mehr Möglichkeiten, ist sie doch geschaffen, um dem Einzelnen das größtmögliche Maß an Freiheit und Sicherheit zu geben. Wie aber schafft man sich eine Clique an? Vorbilder dazu können in unserer Jugend gesucht werden: Wie hat sie damals noch mal funktioniert, die Mofa-Schulhof-Drogen-Clique? Da müssen grundlegende Gesellschaftstechniken, die vielleicht auch durch stumpfes Pärchendaseins verschüttet wurden, neu erlernt werden. Wer noch nicht einmal den Ansatz der Möglichkeit einer Clique im Bekanntenkreis erahnt, muss zuerst Aufbauarbeit leisten. Das heißt, zuerst erforschen, wer sich in letzter Zeit so getrennt hat. Frisch Getrennte, gerade über den ersten eingebildeten Schmerz hinweg, lassen sich am leichtesten für die neue Clique rekrutieren. Die Geburt der Clique kann also auch aus dem Ungeist des Pärchenwesens erfolgen. Ist die Clique erst mal gegründet, muss sie auch am Laufen gehalten werden, Wichtig ist dabei die Konstellation. Jede Clique kann einen ruhigen, eher uninteressanteren Mitcliquisten verkraften, aber nicht mehr. Man muss wissen, was man will. Mit einer Melancholikerclique zum Beispiel wird man nicht viel Spaß haben, eine Säuferclique kann anstrengen. Wird es eines Tages zu viel mit der Clique, hilft nur konsequentes Mobbing oder der Ausstieg. Denn: Eine neue Clique ist wie ein neues Leben.

CHRISTIANE RÖSINGER