themenläden und andere clubs: Mädchen die Jungs, russische Sänger und ein Sauerteig namens Hermann
Eine moderne Babuschka erzählt
„Jungs die Mädchen“ und „Mädchen die Jungs“ hieß es bei uns früher, wenn auf dem Schulhof „Packen“ gespielt wurde. In diesem Zusammenhang spielte auch das Wort „Inne“ eine bedeutende Rolle, aber darüber ein anderes Mal mehr.
Eine Art Jungs die Mädchen spielten auch zwei Jungs, also Männer, und drei Mädchen, also Frauen, die vorgestern in einer Ein-Raum-Bar neben mir saßen. Zuerst wurde ein bisschen kollektiv gekichert, dann sog man reihum an den Cocktailstrohhalmen, und als ich mich bückte, weil mir meine Kontaktlinse runtergefallen war (nicht wirklich, ich benutzte das nur als leicht zu durchschauenden Vorwand, um unter dem Tisch die doofen Klettverschlüsse meines Trinkpartners zur Strafe für die schlimme Schuhauswahl falsch zu verkleben), da sah ich, dass am Nebentisch schon heftigst gefüßelt und geknieelt wurde.
Jedenfalls, ein wenig später standen der russisch anmutende, größere der beiden Männer, schwarze Locken, breite Wangenknochen, Pelzmütze, Kalaschnikow, und sein etwas kleinerer, unscheinbarerer Partner auf und setzten und stellten sich ungefragt an ein Klavier, einen Flügel, den ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Der Kleine spielte ein paar mehrtönige Akkorde, und der Große fing an, mit der tiefsten und durchdringendsten Stimme zu singen „My funny valentine, sweet comic Valentine, you make me smile with my heart . . .“.
Mir zersprang beinahe das Schnapsglas. Mein Trinkpartner schrak hoch, wollte auf die Füße springen, stolperte wegen der zusammengeklebten Klett-Verschlüsse über seine todhässlichen Schuhe und schlug lang hin, mit dem Gesicht genau in die Kalashnikov des Rodgers-&-Hart-Schlager-verunglimpfenden vermutlichen Russen. Das war ein Hallo.
Aber genug davon, sonst unterstellt mir noch jemand latente Russenfeindlichkeit. Dabei habe ich so schöne Erfahrungen mit Russen und Russinnen gemacht. Gerade neulich fragte ich eine nette, faltige, echte Babuschka, die mir im Zug gegenüber saß, was das denn werden sollte, was sie da vor sich hin strickte. Sie antwortete: „Eine Handytasche!“ Voll krass, wie sich auch ältere Menschen auf den Informationshighway schmeißen, ist es nicht?
Genug gemosert. Stattdessen möchte ich hier und heute betonen, dass ich ein Freund von jedem Kefir-liebenden Volk bin. Wer Kefir mag, kann kein schlechter Mensch sein. Haben Sie so einen Kefir-Pilz eigentlich schon mal aus der Nähe gesehen? Ein Wunderwerk der Natur! So transparent, so wabbelig, so eigenwillig geformt! Und kein Pilz ist wie der andere! Das Merkwürdigste ist jedoch, das wissen Sie bestimmt noch von früher, dass man den Kefir nur ganz kurz in ein Gläschen Milch legen muss, und kurze Zeit später ist die gesamte Flüssigkeit sooo gesund verpilzt! Wenn man genug davon trinkt, wird man 100. Eine Zeit lang gab es zusätzlich übrigens die nicht weniger interessante Sitte, einen verpilzten Sauerteig namens Hermann zu Hause in einer dunklen Ecke gären zu lassen. Aus einem Teil der säuerlichen Stinkemasse machte man ein gänzlich unattraktives, nach Nichts schmeckendes, gräuliches Brot, ein richtiges Diätbrot, den anderen Hermann-Teil gab man an Feinde weiter. Dass die sich damit herumschlagen. Das war ein Spaß! Komisch, wie sich innerhalb von wenigen Jahren die Einstellung zu Pilzen, Sporen und Bakterien so grundlegend ändern kann. Heute gehören Bakterien und längst ausgestorben geglaubte Bakterienkulturen in den Joghurt, und Pilze und Sporen werden mit Chemiekeulen weggeputzt. Damals war es umgekehrt.
JENNI ZYLKA
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