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tellerrandEin Walfisch im Espanol

Paella macht immer satt

Im Espanol spricht man natürlich Spanisch. Und etwas Deutsch. Mit einer angenehm rauchigen Stimme und einer Brille auf der Stupsnase. Sie ist wahrscheinlich Tochter des Wirts. Sie geht bestimmt noch zur Schule. Sie sagt, sie hat heute drei Fische auf der Tageskarte, einen Loupe de Mer und zwei andere, deren Namen sie nur auf Spanisch kennt. Sie breitet die Arme aus, um die Größe der Fische anzudeuten. Es ist allerdings doch kein Walfisch.

Das zweite Mädchen mit der Schürze, vielleicht ist es die Schwester, übersetzt ins Deutsche und verwandelt die beiden südländischen Meeresfrüchte in eine gewöhnliche Forelle und in einen Tintenfisch. Außerdem gibt es heute frische Lammkoteletts und Rinderschnitzel – so groß wie der Stier im Fenster.

Doch an diesem Tag erinnert das Espanol eher an ein oberbayrisches Fachwerkhaus als an eine spanische Hazienda. Die Wände sind mit hölzernen Balken in akkurate Quadrate geteilt und die Kellnerin balanciert auf ihrem Tablett drei schäumende Biere. Doch dann stößt der Blick auf die fünf Sorten Paella und die 53 verschiedenen Tapas der Speisekarte. Und vor allem auf die vielen, vielen Weinflaschen. Wo ein freier Platz ist, hat man eine Flasche abgestellt.

Die Tochter kommt mit ihrer Brille, ihrer Stupsnase, ihrer Stimme und einem kleinen Begrüßungsteller. Dazu zwei reicht sie zwei süße Liköre. Dann notiert sie die deutsche Bestellung – wahrscheinlich auf Spanisch.

Der Wein ist gut. Der Albali Grand-Reserva kostet fehlerfrei entkorkt 32 Mark. Das gleiche der portugiesische Prado Rey. Außerdem haben sie noch einige Flaschen aus einem der ältesten Weingüter Spaniens: Einen Tondonia, Jahrgang 1990, Reserva. Auch der Hauswein in dem dickbäuchigen Glaskrug löscht den Durst – für 15 Mark den Liter.

Die kleine Tochter bringt das Essen. Sie hat Messer und Gabel vergessen. Das ist lustig. Die rauchige Stimme lacht. Das Essen macht satt. Paella macht immer satt. Muscheln sind darauf, Hühnerteile, einige Bohnen, einige Erbsen . . . was dazugehört zu einer Paella. Der Tintenfisch ist saftig und nicht ganz so groß wie zuvor angedeutet. Am Nachbartisch unterhalten sich zwei Frauen über die Nazizeit. Ein amerikanisches Pärchen benimmt sich sehr gesittet. Ein Mann sitzt vor seinem Wein mit Kopfhörern im Ohr. Drüben sitzen die Spanier und essen und trinken.

Zum Schluss kommt der Dicke mit einer Zigarrenkiste an den Tisch: Echte Havanna, sagt er. Ohne viel Aufhebens darum zu machen. Ob er jeden Abend Zigarren spendiert, ist ungewiss. Gewiss ist nur: Alles in diesem Lokal wunderbar normal.

JOHANN VON LORENZ

Espanol, Giesebrechtstr. 3, Tel. (0 30) 8 82 15 45

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