tellerrand: „Woll’n wir schnell noch ’ne Pizza essen?“, fragt die neue Kollegin aus München
Dornhai gegen Gehirnhautentzündung
„Nee, ich weiß was Besseres!“, sagt der Berliner. Sie halten vor einer kleinen, zwanzig Quadratmeter umfassenden Fritteuse, die mit einer auffälligen Kriegsbemalung in den kräftigen Farben der englischen Flagge um Aufmerksamkeit kämpft. Aus einer Scheibe sickert eine winzige Spur von Licht in die neblige Nacht. Diese mediterranen Trattorias, die ganzen Tapas-Bars und die unzähligen Lokale namens „Alexis Sorbas“ passten einfach nicht in diese Stadt mit ihren ewigen 2 Grad plus.
„Einmal Seelachs für vier Euro“, sagt der Mediziner, noch mit einem Fuß draußen im Nebel, „schön kross. Mit Malt Vinegar.“ Der Tag war anstrengend, und weil die neue Kollegin noch immer nicht damit aufhört, eine Gehirnhautentzündung in den schillerndsten Farben zu schildern, geht er mal kurz zu dem Kühlschrank rüber.
Der Anblick von Ginger Ale, Guinness und Guinness Extra Stout, Harp, New Castle Brown Ale etc. tröstet. Nicht nur der braune Fisch auf den braunen Kartoffeln ist legendär. Die Briten trinken auch gerne. Eine Etage tiefer die obligaten Beck’s und einige Flaschen Flens. Friesland, das ist ja gerade mal über den Kanal. Schon ist der Daumen am Porzellanverschluss. Plopp. Feierabend.
Aber die Begleitung beginnt schon wieder mit der Gehirnhautentzündung. Vielleicht hätte er doch den Dornhai nehmen sollen. Kostet eh nur einen Euro mehr. Er hätte auch Kabeljau nehmen können. „Cod.“ Früher stand hier alles auf Englisch. „Cod“ heißt Kabeljau, „Plaice“ Scholle. Englische Fische sind einsilbiger als deutsche. Auch wenn sie alle stumm sind. Im Gegensatz zu weiblichen Medizinern. „Also, wenn du diese Gehirnhaut gesehen hättest, so ein Bild vergisst man nicht …“
Da kommt der Fisch. Nirgends bekommt man so schnell seinen Fisch. Und so viel Fisch. Die handgeschälten Kartoffeln, knusprig braun nach ihrem zweiten Besuch in der Fritteuse! Herrlich! Auch der Seelachs hat nichts mehr von der ursprünglichen Blässe, er schwamm so lange im zischenden Ölbad, bis er goldbraun war. Und richtig kross. Genau wie damals, als er in London was zu essen suchte und dann in diese qualmende Küche stolperte. Drinnen so viel Nebel wie draußen über der Themse. Das war gut. Was hatten die Deutschen nur gegen Fish & Chips? Als ob die Deutschen so viel besser wären mit ihren gekochten Schweinehufen und dem sauren Kraut!
„Willste mal kosten?“, fragt er die Kollegin, ein Stück Seelachs zwischen den Zähnen. Sie zieht die Stirn in so tiefe Falten, dass der Kollege sich Sorgen um ihre Gehirnhaut macht. „Nee, ich hab irgendwie keinen Appetit mehr. Mir geht diese Meningoenzephalitis nicht aus dem Kopf!“
„Macht nix, Mädel, da musst du durch! Sonst wird nie ’n richtiger Mediziner aus dir … – und nicht mal ’n richtiger Berliner …“ HANS W. KORFMANN
Fish & Chips, Yorckstraße 15, Kreuzberg, tägl. 12–24 Uhr
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