taz.adventskalender (9) : Wir wünschen uns ... weniger Schlitze
Das Leben ist ein Wunschkonzert: Stimmt leider nicht ganz, aber zumindest im Advent werden Sehnsüchte, Hoffnungen – Wünsche eben – geäußert. Auch an dieser Stelle in der taz, bis zum 24. Dezember jeden Tag.
Wenn ich morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, sehe ich überall Schießscharten: Aus langen, schmalen Sehschlitzen im steinernen Gesicht funkeln mich das InterCityHotel und das Kennedy-Haus am Hauptbahnhof an. Um die Ecke ziehen Bauarbeiter gerade das nächste steinerne Ungetüm hoch.
Ich radle am Kapellenufer weiter Richtung Downtown. Dort erhebt sich das Bildungsministerium: vertikale Strenge in Grün, schmale, fiese Fenster. Zum Glück führt mein Weg nicht am neuen Innenministerium oder dem BND-Neubau vorbei, wo Kilometer gerasterter Lochfassaden den Blick lähmen. Der Anblick wäre ein Grund, auf der Stelle zu wenden und zurück ins Bett am Altbaudoppelkastenfenster zu kriechen!
Berlin, schon in der Kaiserzeit als steinerne Stadt bekannt, ist zur Schießschartenhauptstadt geworden. Die immer gleiche Fassadengliederung mit den monoton gesetzten Schlitzfenstern strahlt eine solche Freudlosigkeit aus, dass ich Rachefantasien hege gegen Architekten, die abweisende Sicherheitsarchitektur allen Ernstes für den Hauptstadttrend der Stunde halten.
Wer ist schuld daran, dass in einer Stadt, die mal für architektonische Experimente stand, die Mutlosigkeit regiert? Der berüchtigte ehemalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann mit seiner kritischen Rekonstruktion? Aber der ist auch schon bald zehn Jahre im Ruhestand. Ich wünsche mir mehr Architekten vom Schlag eines Arno Brandlhuber – der nicht graues Repräsentations-Zeugs baut. Sondern experimentiert, sich in Baulücken setzt, die Farbe nicht vergisst. Für eine Stadt, die sich was auf ihren unverwechselbaren Charakter einbildet, ist Experimentierfreude alles. Sollen sie doch in der Provinz ihre Gästeklos mit Schießschartenfenstern ausstatten. Nina Apin
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