piwik no script img

Archiv-Artikel

taz vor 10 jahren Schröder erneut Ministerpräsident

Der Wunsch nach einem anderen Kanzler hat die Sozialdemokraten [in Niedersachsen, d. Red.] fast in die Nähe von CSU-Ergebnissen gebracht und Freude aufkommen lassen wie seit 1972 nicht mehr. Schröder hat ein neues Gefühl, aber keine neue Politik vermittelt – ein ziemlich gelungener Klon zwischen Tony Blair und Helmut Kohl. Offenbar, und das ist die zweite Lektion, wollen die Deutschen jetzt andere Gesichter sehen und eine andere Rhetorik hören. Aber wollen sie auch eine andere Politik oder lieber, solange es noch geht, die alte sozial etwas dezenter aufgetragen?

Die Bundestagswahl wird durch die Personenfrage, aber auch durch die Themen entschieden. Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsdynamik, Reform des Sozialstaats, Steuerreform: Auf keinem dieser Gebiete ist die SPD bisher durch originelle, zukunftstaugliche Vorschläge aufgefallen. In den USA gab es vor Clintons Sieg die „neuen Demokraten“, in Britannien vor Blairs Triumph „New Labour“, hier gibt es noch immer die alte Sozialdemokratie. Reicht das, wird sich daran, vor oder nach der Wahl, etwas ändern? Und damit beginnen die Fragen. Zum Beispiel die Frage nach den Reformen. Mit dem Stichwort „Modernisierung und soziale Verantwortung“ knüpft Schröder ausdrücklich an den Wahlkampf 1969 an: „Wir schaffen das moderne Deutschland“, hieß es damals. Psychologisch verständlich, politisch fatal. Damals hatten die Reformen noch Geld. Der Glaube an den Staat war noch wenig erschüttert (…) Wer dagegen heute die allfälligen Reformen als Endmoränen der sozialliberalen Ära begreifen und betreiben wollte, der müßte über kurz oder lang scheitern.

Warnfried Dettling, taz, 3. 3. 1998