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Archiv-Artikel

taz-serie fröhliche weihnacht (Teil 2): Warum zum Fest so viele junge Menschen die Stadt verlassen Feiern mit Freunden zu Hause bei den Eltern – in Israelsdorf

„Weihnachten bei meinen Eltern zu Hause ist eine der Konstanten in meinem Leben“, sagt der 35-jährige Stuart Kummer

Berlinerinnen und Berliner verschiedener Religionen, Lebensstile und Generationen entwickeln neue und eigene Formen, Weihnachten zu feiern. Die taz stellt einige davon vor.

Der Holzspielzeugladen macht Betriebsferien, die Szenekneipe hat geschlossen und am Kollwitzplatz gibt’s massig Parkplätze. Prenzlauer Berg über Weihnachten: Ein Stadtteil ist fast kollektiv bei den Eltern weit weg von Berlin. Die Studenten und die viel beschriebenen jungen Kreativen, die einen auffälligen Teil der Bevölkerung in dem Stadtteil ausmachen, packen spätestens am 23. Dezember ihre Taschen – und fahren „nach Hause“.

Einer von ihnen ist Stuart Kummer, Werbetexter, 35 Jahre alt. Seit 1995 wohnt er in Berlin, und jedes Jahr verbringt er Heiligabend in Israelsdorf bei Lübeck. Bei seinen Eltern. In dem Fachwerkhaus mit Reetdach, in dem er seine Kindheit verbrachte. Weihnachten, das Fest der Kindheitserinnerungen für jeden über sechzehn. „Meist komme ich erst am 23. nach der Arbeit los. Ich bin dann nicht vor Mitternacht in Lübeck – und treffe mich gleich mit alten Freunden“, erzählt Kummer. Noch heute gelten die aus der gemeinsamen Schulzeit bekannten Regeln, „wer wohin geht“. Dieses Jahr buhlt eine neue Kneipe in der Innenstadt um die Gunst der Heimfahrer, aber Kummer will dort „höchstens mal vorbeischauen“.

Allzu lang kann er am nächsten Morgen nicht ausschlafen, denn im Haus der Eltern laufen die Vorbereitungen für das Fest auf Hochtouren. Und der älteste Sohn wird seiner Verantwortung gerecht: Er ist für das Weihnachtsmenü zuständig. Es gibt wie jedes Jahr Fisch. „Seit ich kochen kann, entlaste ich meine Mutter damit. Außerdem schenke ich ansonsten nicht so viel.“

Kummer lächelt, während er das weihnachtlich geschmückte Haus seiner Eltern beschreibt. „Am besten gefallen mir meine alten Salzteigfiguren. Ich habe als Achtjähriger ein Atomkraftwerk gebastelt und eine Fußgängerzone. Die erkennt man an den Pollern, damit die Autos nicht durchkönnen.“ Noch heute hängen sie am Baum, „aber eher hinten“. In seiner eigenen Wohnung in Berlin hat der 35-Jährige überhaupt keinen Weihnachtsschmuck: „Das ist doch kitschig“.

Nach dem familiären Teil trifft sich Kummer auch am Heiligabend noch mit Freunden. „Wir sind dieses Jahr eine Gruppe von etwa zwölf Leuten, davon sind sechs Berliner, die aber alle aus Lübeck stammen. Auch wenn wir uns in Berlin nicht regelmäßig treffen – an Weihnachten sieht man sich wieder.“ Bis spät in die Nacht tauscht sich der Freundeskreis über die Ereignisse des vergangenen Jahres aus. „Der Kreis wird aber immer kleiner. Viele haben schon eigene Familien oder sind beruflich verhindert.“

Stuart Kummer kann sich nur schwer vorstellen, das Weihnachtsfest nicht in seiner norddeutschen Heimat zu verbringen. „Ich fand Weihnachten nie total spitze. Immer eher egal bis okay. Aber seit meine Freunde und ich über ganz Deutschland verstreut sind, ist das Fest eine gute Gelegenheit, sich zu treffen.“ Auch die idyllische Natur in Israelsdorf ist für Kummer ein Argument, der Großstadt über Weihnachten den Rücken zu kehren. „Der Schnee bleibt einfach länger liegen. Und mit dem Rad ist man in 30 Minuten am Meer. Das ist Erholung.“ Eine Freundin habe mal ein Weihnachtsessen in Berlin gemacht. Stuart Kummer hatte kurz überlegt, ob er vielleicht doch in der Stadt bleiben solle. „Da haben dann aber nur vier Leute zugesagt.“

Am 27. Dezember fährt Kummer zurück. Er wird auch dieses Jahr mit seinem alten Mercedes im Stau stehen – zusammen mit all den anderen Heimkehrern. Denn Silvester will der 35-Jährige in Berlin verbringen – Partys nach seinem Geschmack finden in Israelsdorf nämlich nicht statt.

HEIKE SCHMIDT