taz-olympiakrimi: im schatten der ringe: Kapitel 4: In dem der Obduktionsbericht vorliegt
Ein Epo-Anschlag der DDR?
Was bisher geschah: IOC-Mitglied Thomas Kiwabaki ist ermordet worden. Seinem Bruder Samuel hatte er einen mysteriösen Koffer in Verwahrung gegeben, den dieser ahnungslos einem vermeintlichen Beamten der Sydney Police aushändigte. Chefermittler Wayne Bruce erholt sich von diesem Schock vor dem Fernsehgerät, als plötzlich drohend das Telefon läutet.
Es war seine Mutter, die ihn fragen wollte, ob die Olympischen Spiele schon begonnen hätten. Sie war 88 und misstraute allen anderen Bewohnern ihres Seniorenheims so gründlich, dass sie jede ihrer Behauptungen durch einen Anruf bei ihrem einzigen Sohn überprüfte. „Ja, sie haben gestern begonnen“, bestätigte Bruce geduldig, „und gerade eben hat Thorpey in der Staffel schon sein zweites Gold gewonnen.“ – „Guter Junge“, antwortete sie und legte auf. Er nahm an, dass sie ihn meinte und nicht Ian Thorpe, von dem sie vermutlich noch nie gehört hatte. Nun, selbst sie würde in den nächsten Tagen von ihm hören.
Nach vier Stunden Olympia auf Channel Seven hatte Wayne Bruce genug. Bevor er ins Bett ging, nahm er sich vor, am nächsten Tag im Revier ins Internet zu schauen, ob eigentlich auch nichtaustralische Athleten teilnahmen. Gesehen hatte er in den letzten Stunden keine. Obwohl die australischen Hockeyspieler in der Zusammenfassung gegen irgendwelche Leute gespielt hatten, die höchstwahrscheinlich keine Australier waren. Aber dafür wurden sie auch mit keinem Wort erwähnt und hatten nie den Ball. Erstaunlich auch die vielen Bilder von Australiern, die Bronzemedaillen umgehängt bekamen. Wo um Himmels willen waren bloß Gold und Silber geblieben?
Am Morgen musste Bruce früh aufstehen, denn er hatte es arrangiert, dass er beim Triathlon eines jener Waterbikes fahren durfte, die das Hafenufer gegen Anschläge absicherten. Ein weit besserer Job als zum Beispiel der jener Taucher, die mit Hai-Abschreckungsgeräten unter dem Pulk der schwimmenden Triathleten herumdümpeln mussten. Als ob sich ein halbwegs bei Trost befindlicher Hai in dieses brodelnde Chaos begeben würde. Bruce hatte sich den Waterbike-Einsatz einfach mit der Begründung unter den Nagel gerissen, als Chef der olympischen Verbrechensbekämpfung müsse er schließlich in vorderster Front zu finden sein. Es hatte ein wenig böses Blut gegeben, und das Gegrummel „zu alt, zu versoffen, zu fett“ war nicht zu Überhören gewesen. Bruce beschloss, nicht nachtragend zu sein und beim nächsten Barbecue bloß noch drei T-Bone-Steaks zu vertilgen.
Der Triathlon verlief, terrormäßig gesehen, ereignislos, und Wayne schaffte es sogar, seine Runde so einzurichten, dass er den Zieleinlauf mitbekam. Am besten gefiel ihm der hopsende deutsche Glatzkopf, der wenigstens den Wert einer olympischen Silbermedaille kannte, während die einheimische Michellie Jones am Tag vorher ihre Enttäuschung, vor eigenem Publikum nicht gewonnen zu haben, nur schwer hatte verbergen können.
Anschließend fuhr er ins Revier, wo nur der unvermeidliche David Persini gelangweilt herumsaß. Na ja, Frau Samaranch sei gestorben, sagte er. Und der Witwer für Tage noch in Barcelona. Bruce runzelte die Stirn. Kriminalassistentin Wade hatte sich das Wochenende auf Abruf frei genommen, aber Bruce war sicher, dass ihr Pager sicher nicht funktionieren würde, wenn er sie zu erreichen versuchte. Auf seinem Schreibtisch lag endlich der Obduktionsbefund von Thomas Kiwabaki. „Was war es?“, fragte Persini neugierig. Bruce zog eine Augenbraue hoch. „Etwas sehr Passendes: eine Überdosis Epo.“ – „Also Ostdeutsche!“ Bruce sah Persini mitleidig an. „Als die DDR unterging, war Epo kaum erfunden.“ – „Ha, glauben Sie!“, trumpfte der Inspektor auf, der vor ein paar Tagen einen Artikel über Doping in der Gazzetta dello Sport gelesen und daraufhin beschlossen hatte, Olympia zu ignorieren.
Bruce setzte zu einer längeren Abhandlung über das Für und Wider des Spitzensports und die Glaubwürdigkeit der Medien an. Abrupt wurde er unterbrochen: Das Telefon klingelte erneut unheilverkündend.
MATTI LIESKE
Fortsetzung morgen
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