■ taz intern: So long, Andrea!
Vielerorts im deutschen Pressewesen ist die Meinungsseite eine Art Quarantänestation: Hier soll gebannt werden, was den Objektivitätssound der Nachrichtentexte stören könnte. Durch das unübersichtliche Meer von News soll sie einen als orientierungsbedürftig eingestuften Leser lotsen. Andrea Seibel, die Redakteurin, die der Meinungsseite dieser Zeitung in den vergangenen vier Jahren ihr Profil gab, hat es nicht so gehalten. Citoyenne funkt an Citoyen; wenn sie die Wahl hatte zwischen dem traditionstreuen Agitationsstück und der analytisch gehaltenen Zumutung, hat sie für die Zumutung optiert. Die feinen Risse im Meinungsgebälk – der interventionsfreudige Grüne oder die gewerkschaftskritische Sozialistin – waren ihr allemal lieber als ein Gebell von der richtigen Seite. Als rechtsliberal ist sie dabei nur von denen kritisiert worden, denen ihre selbstbewußte Positionierung innerhalb des (Schweine-)Systems nicht paßte, von der aus sie sich nicht scheute, Vorschläge zu machen: Als könnte tatsächlich Politik werden, was unsereins sich so denkt.
Andrea Seibels Werdegang repräsentiert so ziemlich alles, was man an dieser Zeitung liebenswert finden kann. Sie kam 1982, noch als Studentin der Germanistik und der Politik, und zwar in die – Korrektur. Das war die Zeit, als unser soziales Gefälle noch minimal war; man fragte in der Korrektur um Meinung nach und bekam sie. „Wie selbstverständlich“ betreute die Korrekteuse Seibel bald die Reiseseite, bald eine wilde Seite, die „Gelée Royal“ hieß. Wenig später zog die Nachrichtenredaktion sie für sich an Land; damit unterfordert, wurde sie zur Chefin vom Dienst in der Auslandsredaktion. Das war nicht ungefährlich. Seibel hatte Lunte gerochen und entschwand flugs in das Land, das sie als das damals interessanteste für sich entdeckt hatte: Monatelang zog sie mit Ethnobotanikern und Lehrern durch Townships von Südafrika. Damals kam der erste Bruch mit der taz, „persönliche Gründe“ sollen den Ausschlag gegeben haben, und es bedurfte eines schnuckligen Angebots der damaligen Chefredaktion, sie zurückzuholen: Mach uns die Meinung!
Die besten Jahre der taz waren für sie die Achtziger mit den erschütternden Grundsatzdebatten; daß die vorbei sind, lastet sie nicht der Verspießerung der Redaktion an, sondern dem Abdanken des Sozialismus. Daß sie nun weggeht, obwohl die letzten vier Jahre mit der Meinungsseite für sie persönlich die glücklichsten taz-Jahre waren, hängt, neben einigen Enttäuschungen, wohl in erster Linie mit diesem obskuren Gefühl zusammen, das einen mitunter anweht: Bloß hier nicht alt werden! Pünktlich zum Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse geht Andrea Seibel zur Wochenpost. Wie soll das nur ohne sie werden?! So long, Andrea. Wir wünschen Dir alles Gute. taz
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