taz-adventskalender: Die Mauer fällt nebenbei
Frank Goosen
„Kein Wunder“. Kiwi 2019.
„Liegen lernen“. Eichborn, 2000, und KiWi-Taschenbuch, 2015
Wer etwas über Berlin lesen will, hat viel Auswahl. Die schönsten Schriftstücke stellt die taz bis Weihnachten täglich vor.
Frank Goosen ist kein Berliner. Der 53-jährige Schriftsteller lebt bis heute in Bochum. Aber in seinem Werk zieht es ihn immer wieder an die Spree. Schon in seinem 2000 erschienenen Debütroman „Liegen lernen“ reiste sein Protagonist auf der Suche nach seiner Jugendliebe Britta in die Hauptstadt, genauer gesagt in die Kochstraße. Er hatte gehört, dass seine einstige Klassenkameradin inzwischen dort bei der taz arbeite: „Ich postierte mich auf der anderen Straßenseite (…) Sie ging an einem Fenster im dritten Stock vorbei. Sie war es, ganz sicher.“ Später stellt sich alles als Illusion heraus. Es gibt keine Britta bei der taz, nicht einmal eine Frau, die ihr ähnlich sieht. Aber allein wegen dieser Stelle gebührt Goosen ein Ehrenplatz in der Literaturgeschichte. Denn Romane, in denen die taz eine Rolle spielt, gibt es nicht so viele.
Tatsächlich soll es in diesem Text aber um Goosens jüngsten Roman „Kein Wunder“ gehen, der erst dieses Jahr erschienen ist. Er spielt 1989 und wiederum in Berlin. Zur Hälfte zumindest.
Es geht um drei Typen, Anfang 20, aus Bochum. Einer ist nach Westberlin gezogen, so wie die Coolen das damals gemacht haben. Die anderen kommen zu Besuch und dürfen staunen. Der frisch Migrierte zeigt seinen Freunden die angesagten Kreuzberger Kneipen und die Hinterhöfe der Subkultur auf der andere Seite der Mauer. Er berlinert auch schon. Schnellassimilation eines Dazugehörenwollenden, der alles unglaublich toll findet. Finden muss.
Was den Roman so besonders macht: Goosen erzählt nicht aus der Perspektive des Neuberliners. Sein Hauptprotagonist bleibt der Besucher aus Bochum. Der Distanz wahrt und auch wieder zurückfährt ins Ruhrgebiet. Der dort einen Rappel kriegt und seine ranzige Studentenbude renoviert, weil es dringend einer Wende in seinem Leben bedarf.
Währenddessen fällt in Berlin die Mauer. Das wird zwar irgendwo nebenbei im Fernsehen übertragen. Aber verstanden wird es nicht. Stattdessen reicht er seinem Kumpel ein Bier und sagt: „Der Teppich hier im Zimmer muss auch unbedingt raus.“
Damit ist „Kein Wunder“ der wohl ehrlichste Mauerfallroman aller Zeiten. Er erzählt nicht die Heldenepen derjenigen, die noch in der Nacht am Brandenburger Tor getanzt haben. Sondern von denen, die das nächtliche Weltereignis verpennt haben. Weil sie mit anderen Dingen beschäftigt waren, obwohl sie eigentlich ganz nah dran waren. Es dürfte die übergroße Mehrheit der Deutschen gewesen sein. Selbst in Berlin. Gereon Asmuth
Berlin-Faktor: „Dit is Berlin“ – als wäre eine Duschkabine in der Küche der Gipfel des Einfallsreichtums moderner Innenarchitektur.
Taugt als Weihnachtsgeschenk für: die in Wessiland zurückgebliebenen Freunde.
Kunden, die das kauften, kauften auch: Das Album „4630 Bochum“ von Herbert Grönemeyer, der heute auch in Berlin lebt.
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