taz-Serie "Soziale Stadt"(7): Die Einsamkeit des Quartiersmanagers
Das Brunnenviertel liegt mitten in der Stadt, trotzdem schwappt der Mitte-Hype nicht in den Wedding herüber. Auch zwei Quartiersmanagements konnten daran bislang wenig ändern.
An der Ecke Schönholzer Straße hört der Spaß auf. Am Rosenthaler Platz ist die Brunnenstraße noch Amüsiermeile der Großstadt-Boheme. Galerien, W-LAN-Cafés und kleine Modeboutiquen wechseln sich ab, "Öko Lofts" werden gerade auf der südlichen Seite der kleinen Schönholzer Straße gebaut. Auf der Nordseite aber, kaum fünf Schritte weiter, ist Mitte zu Ende: Das Bäckerei-Café "Grenzenlos" verkauft Strammen Max und 0,3 Liter Warsteiner für 1,80 Euro. Hier trinken keine Galeristen, sondern Männer mit Schiffermützen um die 60. Weiter nördlich gibt es Kioske, Handyläden und jede Menge Neubauten. Hier ist keine Kunst, sondern Leben. Hier ist der Wedding.
Der Ausdruck "Brunnenkiez" wäre Heinz Lochner lieber. "Brunnenkiez" schafft zumindest klanglich eine Verbindung zwischen der hippen Mitte und dem unhippen Wedding. Die hinzukriegen, daran arbeitet der Quartiersmanager seit vier Jahren. Es ist ein harter Job. Die Mauer, die Wedding und Mitte entlang der Bernauer Straße trennte, ist längst weg. Offiziell gehören beide Stadtteile seit der Bezirksreform 2001 zum Großbezirk Mitte. Doch eine unsichtbare soziale Barriere trennt Norden und Süden nach wie vor.
Im aktuellen "Monitoring soziale Stadtentwicklung" ist das Brunnenviertel mit drei sogenannten Planungszellen vertreten. Sowohl die statistischen Einheiten "Brunnenstraße" als auch "Humboldthain Süd" und "Humboldthain Nordwest" stehen mit den Plätzen 416, 391 und 429 am Ende des Rankings. Schlusslicht ist die Helle Mitte in Hellersdorf auf Platz 434.
Die Indikatoren, auf denen das Monitoring beruht, teilen sich in "Status-" und "Dynamikindikatoren". Erste beschreiben eine Bestandsaufnahme des Gebiets, Letztere den Entwicklungstrend. Zu den Statusindikatoren gehören etwa die Arbeitslosigkeit oder der Anteil an Transferempfängern. Einer der Dynamikindikatoren ist der Wanderungssaldo von Kindern unter 6 Jahren. Daran erkennt man, ob Familien aus dem Kiez abwandern oder zuziehen. (wera)
Im Süden wollen alle wohnen, die Schulen sind voll, die Gewerbeflächen vermietet, das Leben tobt. Im Norden sitzt Heinz Lochner allein im Büro des Quartiersmanagements Brunnenviertel und guckt aus dem Fenster. "Nichts los hier", sagt er. Und benennt damit das größte Problem. Denn an Einwohnern fehlt es nicht: Rund 8.000 Menschen leben in der Gegend zwischen Nordbahnhof, Humboldthain und Mauerpark. Aber es ist kaum jemand auf der Straße, es mangelt an Läden, Gewerbe - und an attraktiven Altbauten.
"Die Problemlage des Brunnenviertels ist einzigartig in der Stadt", sagt Lochner, der zuvor Quartiersmanager am Helmholtzplatz und am Falkplatz in Prenzlauer Berg war. "Das Viertel ist durch seine Lage enorm begünstigt. Und wird trotzdem von der Mittelschicht nicht nachgefragt." In den 60er- und 70er-Jahren wurden 75 Prozent des Altbaubestands abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Die Mehrheit der ursprünglich gemischten Bewohnerschaft zog ins neu gebaute Märkische Viertel - neu kamen junge Arbeiterfamilien, viele von ihnen Einwanderer. Ihr Anteil liegt heute bei 50 bis 60 Prozent.
Zur sozialen und ethnischen Entmischung kommt die städtebauliche Isolation: "Das Brunnenviertel war von drei Seiten von der Mauer umgeben", sagt Lochner. "An den Folgen leidet die Gegend noch heute." 2005 schrieb der Senat daher gleich zwei Quartiersmanagements (QM) für die Gegend aus. Finanziert aus dem Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" sollen die QMs eine soziale und stadträumliche Aufwertung erreichen. Für 2007 bis 2013 stehen dafür 151 Millionen Euro für alle Berliner QMs zur Verfügung. In 34 Gebieten arbeiten Quartiersmanager mit Bewohnerbefragungen, runden Tischen und anwohneraktivierenden Projekten an der Weiterentwicklung von Stadtteilen.
Im Brunnenviertel wird das QM "Brunnenviertel-Brunnenstraße" von der Stadtentwicklungsgesellschaft L.I.S.T. betriebenen; die Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung (S.T.E.R.N.) betreibt das QM "Brunnenviertel-Ackerstraße", wo Lochner arbeitet. Zwei Büros mit jeweils vier Leuten seien keineswegs zu viel, betont Lochner. Schließlich habe man eine besonders schwierige Ausgangslage.
Zum Beispiel Schulen ohne deutsche Muttersprachler, leer stehende Ladenflächen, zu wenig Verbindendes. "Eine städtebauliche Eigenart der Gegend sind fehlende gewerbliche Erdgeschossflächen", sagt Lochner. Selbst wenn hippe junge Künstler und Modedesigner im Brunnenviertel arbeiten wollten - in den klotzigen Wohnanlagen hatte man Läden nur vereinzelt eingeplant. Die wenigen, die es gibt, sind Bildungs- und Begegnungseinrichtungen. Den Bewohnertreff "Volt-Cültüre" haben Lochner und seine MitarbeiterInnen gegründet, jetzt betreiben ihn Menschen aus dem Kiez, deren "Aktivierung" gelungen ist.
Es sind kleine Erfolge, die das QM in der Jasmunder Straße bislang errungen hat: ein Ferienprogramm, das Kindern die Welt jenseits des Weddings zeigt, einen Kitaverbund zur gemeinsamen Sprachförderung, einen Bildungsverbund der Schulen im Kiez (siehe Text rechts) und der Neubau eines Familienzentrums. Doch Lochner ist optimistisch: Bis zum Ende der Förderperiode 2013 könne man noch einiges bewegen.
"Wir haben bereits viel erreicht", betont dagegen Jörn Richters, der von seinem Büro aus die belebte Kreuzung Brunnen- und Straßburger Straße überblicken kann. Richters leitet das Kundenzentrum der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo, die größte Vermieterin in der Gegend ist. "2005 hatten wir hier einen ganzen Blumenstrauß von Problemen", sagt Richters. Leerstand, Gebäudemängel, problematische Mieterstruktur, Drogen und Vandalismus waren nur einige davon. Mit einem "integrierten Konzept" aus Wohnumfeldverbesserung, Sanierung und sozialem Engagement habe man den Leerstand beseitigt.
Die Degewo unterhält ein eigenes Stadtteilzentrum im Viertel, das mit den QMs zusammenarbeitet, und einen Mietertreff. "Das Brunnenviertel ist heute ein ganz normales Wohngebiet mit bezahlbaren Wohnungen für normale Menschen", betont Richters. Viele der 5.000 Degewo-Wohnungen im Kiez seien geräumig und mit Durchschnittsmieten von 5,40 Euro netto kalt ideal für Familien mit Kindern. Das Brunnenviertel sei eines der jüngsten Quartiere der Stadt, sagt der oberste Vermieter. Also alles in Butter im nördlichen Teil von Mitte?
"Es ist uns bislang nicht gelungen, die unsichtbare Barriere zu Mitte zu durchbrechen", räumt Richters ein. Allen Maßnahmen zum Trotz finde sich der gebildete, gut verdienende Mittelstand nur spärlich ein. Auch die Kreativindustrie meide alles, was sich nach Wedding anhört. Das seit 2006 von der Degewo veranstaltete Mode-Event "Wedding Dress" bringt zwar jährlich ein paar Wochen kreatives Leben in das Viertel, doch für eine dauerhafte Entwicklung reicht es bislang nicht. Ein geplanter Outlet-Store scheiterte am Widerstand der Mitte-Boutiquen.
Jetzt vermietet die Degewo günstig an Läden wie die "Westberlin Gallery". Die auf "Character Design" spezialisierte Galerie arbeitet seit September in einer der Ladenflächen jenseits der unsichtbaren Grenze. Drinnen sitzt eine einsame junge Frau hinter ihrem Laptop. "Wenn es gut läuft, kommen hier am Tag zehn Leute vorbei", sagt sie. Die Macher der Galerie hoffen auf die langfristige Entwicklung der Gegend. Den Atem dafür gibt ihnen eine billige Miete. Früher oder später, das hoffen alle Beteiligten im Brunnenviertel, wird die Strahlkraft von Mitte den Norden erreichen.
Nicht nur bei der Degewo erwartet man deshalb sehnsüchtig die Entwicklung im Mauerpark. Mit den geplanten Neubauten würde es einen Durchgang zur Weddinger Seite geben. Dann hätte die unsichtbare Mauer endlich ein Loch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid