taz-Serie "Soziale Stadt" (5): Hausverwalter aus Nord-Neukölln im Interview: "Vertreibungsgefahr ist nicht so groß"
Nord-Neukölln boomt, die Mietpreise ziehen an: "Gott sei Dank", sagt Bernd Girke, Verwalter von vier Mietshäusern. Jetzt sei endlich wieder Geld da, um die Häuser instand zu halten.
taz: Herr Girke, alle reden vom boomenden Nord-Neukölln. Was sagen Sie dazu?
Bernd Girke: Da ist was Wahres dran. Solange ich hier wohne, und das sind jetzt 68 Jahre, wollten noch nie so viele Leute unbedingt hierher. Es gibt Architekten, die mir gesagt haben: Wer jetzt nicht hierher zieht, hat in den nächsten Jahren keine Chance mehr - weil es boomt in dem Gebiet rechts und links vom Kanal. Es gibt sogar schon Diplomaten, die ziehen hierhin, wurde mir erzählt. Und bei mir im Haus sind in letzter Zeit drei junge Ärzte eingezogen. Wir haben jahrzehntelang Schwierigkeiten gehabt, überhaupt etwas zu vermieten - und jetzt ist es kein Problem mehr, überhaupt nicht.
Also hatten Sie früher Leerstand in Ihren Häusern?
Ja, wir hatten grundsätzlich immer welchen. Gott sei Dank, kann ich sagen, war es nie so viel. Aber jetzt mache ich eine Anzeige im Internet, und in einem Tag ist die Wohnung weg.
Das heißt, Sie können auch die Miete erhöhen?
Definitiv. Und das tun wir auch.
Der 68-Jährige lebt seit seiner Geburt in demselben Haus in der Weichselstraße in Nord-Neukölln am Landwehrkanal. Er verwaltet für ein Geschwisterpaar aus Bayern vier Häuser in der Weichsel- und Pflügerstraße mit 75 Wohnungen und knapp 120 Mietern.
Dieser Nebenerwerb liegt in der Familie, die Großeltern haben damit 1933 angefangen, Girke übernahm das Geschäft vor fast 30 Jahren von seiner Mutter.
Im Hauptberuf war der gelernte Elektromotorenbauer bis zur Rente bei der Post im technischen Bereich beschäftigt. Er ist verheiratet und hat drei Kinder, die alle in Neukölln leben.
Jeder zweite Mieter-Haushalt in Berlin hat in den vergangenen drei Jahren eine Mieterhöhung bekommen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Berliner Zeitung. Viele Haushalte wollen sich mit der neuen, höheren Miete aber nicht abfinden, berichtet das Blatt. 20 Prozent erklärten danach, dass sie in eine günstigere Wohnung umziehen wollen. 2 Prozent gaben an, dies bereits getan zu haben. Befragt wurden 1.005 Berliner.
Besonders stark verbreitet sei der Wunsch nach einem Wohnungswechsel bei Haushalten im Ostteil der Stadt. Dort erklärten 24 Prozent der Befragten, dass sie sich eine preisgünstigere Wohnung nehmen wollen, 3 Prozent haben es bereits getan. Im Westteil der Stadt wollen sich 17 Prozent der Haushalte eine billigere Wohnung suchen. (ddp)
++++++
Dieses Interview ist der 5. Teil der taz-Serie "Soziale Stadt".
Können Sie mal eine Preisspanne sagen?
Das ist schwer zu sagen. Aber ich schätze mal, von 2008 auf 2009 haben wir bei Neuvermietung zwischen 10 und 15 Prozent erhöht. Und da sind wir auch drauf angewiesen. Alles wird teurer, und so ist es auch mit unseren Handwerkern. Die Firmen, die wir hier beschäftigen, sind alles deutsche Firmen mit fast ausschließlich deutschen Arbeitnehmern, und die wollen ja auch nicht für dreifünfzig arbeiten.
Also war das Vermieten lange Zeit ein schlechtes Geschäft und jetzt wird es wieder ein gutes?
Ja, jetzt ist es endlich wieder ein besseres Geschäft. Wenn Sie bedenken, was hier an Altbausubstanz erhalten werden muss, dann muss man sehen, zumindest für einen Teil der privaten Hausbesitzer ist das mehr ein Hobby. Also ein Riesengeschäft ist das auf keinen Fall.
Aber das wird ja jetzt besser.
Ja, das macht sich schon bemerkbar. Wir haben jetzt auch angefangen, wieder etwas zu investieren, die Haustüren anzustreichen. Demnächst wollen wir uns an die Innenhöfe machen. Aber wenn wir jetzt nebenan das Haus aus den 50er-Jahren komplett sanieren - neue Isolierung, Fenster, Balkone, Fernheizung und so weiter -, dann kostet das den Besitzer locker eine Viertelmillion. Das hat er auch nicht so schnell wieder drin, selbst wenn jetzt die Miete erhöht wird wegen Wohnwertverbesserung. Also reich kann man damit nicht werden, nicht als kleiner Vermieter mit vier Häusern. Darum arbeiten unsere Vermieter ja auch beide noch, damit überhaupt was übrig bleibt. Zum Reichwerden muss man schon 500 Häuser haben.
Aber jetzt haben viele sogar schon Angst, dass sie aus dem Kiez verdrängt werden, wenn die Mieten steigen. Können Sie das verstehen?
Na ja, in einem gewissen Umfang wird es natürlich schon eine Vertreibung geben. Aber Neukölln war immer ein Arbeiterbezirk, und da wird nicht heute oder morgen die Hautevolee hinziehen und die Preise in die Höhe treiben. Und die Preise, die wir jetzt erhöhen und die vielleicht etwas höher sind als normal, das können wir ja nur machen, wo wir neu vermieten. Ansonsten sind wir ja an den Mietspiegel gebunden, und daran halten wir uns auch. Und es wird ja nicht alles neu vermietet, es bleiben ja auch ein paar Leute hier wohnen.
Sie meinen, so richtig schick wird Neukölln nie?
Als die Häuser hier vor 100 Jahren gebaut wurden, hätte man auch denken können, dass hier wer verdrängt werden würde, denn die Wohnungen bekamen sogar einen Dienstbotenaufgang! Aber der wurde nie benutzt. Das heißt, das hier ist nie ein Bezirk geworden, in den unbedingt die Leute mit Geld ziehen wollten. Und selbst wenn es jetzt hier entlang des Kanals etwas teurer wird, dann bleiben immer noch 150.000 Wohnungen in Neukölln übrig für die, die dort immer schon gewohnt haben. Also ich denke nicht, dass die Gefahr der Vertreibung hier so groß ist.
Was für Menschen haben denn in Ihrer Kindheit in Neukölln gelebt?
Es war immer ein Arbeiterviertel, vielleicht einen kleinen Tick besser als Wedding. Also kein reines Arbeiterviertel, sondern ein bisschen besser durchmischt, auch Handwerker, kleinere Beamte im mittleren Dienst, zum Beispiel bei der Polizei. Richtig große Probleme gab es hier jedenfalls nicht. Ich bin ja in unsere jetzt in ganz Deutschland berühmte Rütli-Schule gegangen, auf den technischen Zweig, mittlere Reife, da war alles ganz normal. Da hat man sich mal gehauen, wenn einer einen Streich gemacht hat. Aber da gab es nichts, wo man sagen müsste, oh Gott, da geht was krass auseinander, oder man konnte nicht miteinander umgehen.
Und wann ging es dann bergab?
Das ist schwer zu sagen. Es fing irgendwann an, dass die kleinen Läden und Geschäfte schließen mussten. In der Weichselstraße etwa gab es einen Schuhmacher, da war es ganz dunkel, verräuchert, es roch immer nach Kleber und Pech und alten Schuhen. Alle haben ihre Schuhe dahin gebracht, und er konnte davon existieren. Aber so was gibt es eben nicht mehr. Irgendwann - war das Anfang der 70er? - kamen Kaisers und Edeka und all die Filialgeschäfte. Da konnten die Kleinen nicht mehr mithalten.
Und woher kommt jetzt der Aufstieg?
Kann ich auch nicht sagen. Dass wir in der ganzen Weichselstraße praktisch keinen Laden mehr haben, der leer steht, wundert mich auch, das hätte ich nie geglaubt. Hier ist ja ein Ding neben dem anderen, Galerie, Künstlerladen, Raucherkneipe und dergleichen. Aber es ist ja auch so, wenn es einmal anfängt, ein Laden macht auf, dann ist es wie eine Zelle, die sich teilt, dann kommt der nächste und so weiter. Das finde ich auch schön.
Aber bei allem Reden vom Boom ist für viele Neukölln immer noch ein Synonym für Problembezirk.
Es ist auch einer. Aber wenn Sie andere Großstädte nehmen, etwa im Ruhrgebiet, wo auch ganz viel Arbeit weggebrochen ist, dann haben die ähnliche Probleme wie wir hier. Ich finde es ganz schlimm, dass so viele große Betriebe dichtgemacht haben, Siemens und Daimler, und BMW macht nur noch die Hälfte, oder das Kabelwerk Oberspree. Dabei hatten sie doch vorher, nach dem Mauerbau, so viele Ausländer hierher geholt zum Arbeiten. Die sind alle in die günstigen Wohnungen gezogen, sie hatten ja oft eher schlechte Jobs und konnten nicht viel zahlen. Als dann die Arbeit wegbrach, fingen die Probleme an. Denn die sind natürlich hier geblieben und viele haben es sich dann eingerichtet in der Arbeitslosigkeit mit dem Geld vom Staat. Zwar weiß Gott nicht alle, aber so ist der Mensch ja nun mal. Sonst hätte das ja auch geklappt mit dem Sozialismus.
Manche sagen, ein Problem sei auch, dass das Zusammenleben der Kulturen nicht so funktioniert. Würden Sie dem zustimmen?
Ja, das ist auch ein Problem. Es gibt seit dem 11. September eine zunehmende Angst vor dem Islam, beziehungsweise vor seinen extremen Ausformungen. Außerdem haben sich zu viele der Migranten abgekapselt. Sie bleiben unter sich. Dadurch sind zu viele Leute misstrauisch, weil sie sagen, wir wissen ja nicht, was da ist. Aber natürlich kann man die Probleme von Neukölln nicht allein an den Migranten festmachen, um Gottes willen.
Was für Nationalitäten leben denn in den von Ihnen verwalteten Häusern und wie funktioniert da das Zusammenleben?
Lassen Sie mich mal überlegen. Also, wir haben nur ein türkisches Ehepaar, die wohnen aber schon seit 25 Jahren hier, dann gibts einen Spanier, zwei Schotten, eine Zeitlang hatten wir finnische junge Leute. Ach so, einer unserer Doktoren kommt aus Polen. Aber sonst haben wir eigentlich wenig Migranten, noch nicht mal zehn Prozent.
Hatten Sie schon mal arabische Mieter? Es wohnen ja viele Araber hier in der Gegend.
Nee, hatten wir noch nicht. Ich glaube, dass die Familien mit arabischem Hintergrund lieber dort hinziehen, wo schon arabische Familien sind. In der Sonnenallee zum Beispiel gibt es meines Wissens auch eine ganze Reihe arabischer Hausbesitzer. Also gefragt hat bei mir noch keiner. Ich muss aber zugeben, das wäre mir auch nicht so ganz angenehm. Wobei: Ehe ich einem arabischen Mieter absagen würde, der mir und dem Vermieter angenehm ist, eher würde ich einem Hundebesitzer absagen.
Das finden Sie noch schlimmer?
Das kommt überhaupt nicht in Frage. Also Hundebesitzer, nein!
Dabei sind Ihre Wohnungen sicher auch bei denen bestimmt besonders begehrt. Sie haben am Weichselplatz einen schönen Spielplatz, es gibt ein kinderfreundliches Café, einen Bio-Eisladen, Kindermodegeschäft. Manche sagen, der Weichselplatz ist schon bald der Kollwitzplatz von Neukölln.
Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich war noch nie am Kollwitzplatz, zumindest ist den letzten 20 Jahren nicht. Darum weiß ich auch nicht, ist das was Positives, was Negatives? Jedenfalls freue ich mich, wenn ich nach Hause komme und sehe, dass das Café voll ist und überall Fahrräder stehen und auf dem Spielplatz voller Betrieb ist. Diese Entwicklung ist schon recht schön.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut