taz-Serie Schillerkiez: Schuld sind nicht nur die anderen
Filterkaffee im Lotto-Laden – oder Milchkaffee mit Schaum im Café? Unsere Autorin ist nach Neukölln gezogen - und empfindet sich als Teil der Gentrifizierung.
Wenn ich aus meiner Haustür trete, sehe ich es sofort. „Zu verkaufen“ prangt in grünen Lettern auf dem überdimensionalen Plakat. Es verdeckt die Fenster der zweiten und dritten Etage des Hauses gegenüber. Anscheinend stehen die Wohnungen schon leer. In meinem Magen zieht sich etwas zusammen.
Bis vor ein paar Jahren donnerten hier noch regelmäßig die Flugzeuge dicht über die Häuser, verdunkelten mit ihren Tragflächen den Himmel. Jetzt aber ist der Flughafen Tempelhof ein Naherholungsgebiet mit Urban Gardening und Biergarten. Jetzt ist die Okerstraße direkt daneben begehrtes Wohngebiet.
Viel hat sich verändert
Ich gehe hinaus und in den Toto-Lotto-Laden nebenan. Heute arbeitet Doreen. Wir kennen uns, sie grüßt mich, reicht mir einen Filterkaffee mit Kondensmilch über die Theke und plaudert munter drauf los. Ich frage sie, ob ihr das Plakat gegenüber schon aufgefallen ist. Klar. Das bedeute nichts Gutes, sagt Doreen. „Die Mieten sind schon genug gestiegen hier.“ Der Toto-Lotto-Laden ist voll, wie fast immer. Hier trifft man sich auf ein Bier oder einen Kaffee. „Es hat sich viel verändert“, sagt Doreen. Mehr Studenten seien jetzt hier. Doreen steht schon seit sechs Stunden hinter der Theke, ich bin gerade erst aufgestanden. Sie wohnt seit 15 Jahren hier, ich seit einem Jahr.
Zwischen Flughafen Tempelhof und Hermannstraße in Neukölln liegt der Schillerkiez. Lange galt das Viertel am Rande des Flugfelds als Arme-Leute-Gegend. Doch spätestens mit der Stilllegung des Flughafens 2008 ist aus dem innerstädtischen Viertel ein Quartier mit Potenzial für Investoren geworden. Seit 2010 ist die 386 Hektar große Freifläche ein stark frequentierter Park. Am Rande des Geländes sollen nach dem Willen des Senats neue Wohnquartiere für die obere Mittelschicht entstehen - und vielleicht auch ein paar Sozialwohnungen. Am 25. Mai wird darüber per Volksentscheid abgestimmt.
Viele Anwohner fürchten, dass sich die Aufwertung der Gegend durch die Bebauung noch beschleunigt. Schon länger steigen die Mieten im Viertel; Alteingesessene klagen, dass sie es sich kaum mehr leisten könnten, dort zu wohnen.
Die taz beobachtet diese Veränderungen seit Mai 2010. Bereits veröffentlichte Texte stehen unter taz.de/schillerkiez. (taz)
Diese Studenten, damit meint sie auch mich, 29, Volontärin an einer Journalistenschule. Das schlechte Gewissen schickt eine weitere Botschaft an meinen Bauch. Klar, meine WG zahlt mehr als alle anderen in unserem Haus. Macht mich das automatisch zur Gentrifiziererin?
Wir sind wahrscheinlich die Partei mit dem bildungsbürgerlichsten und deutschesten Hintergrund im Haus. Unsere Nachbarin konnte nicht glauben, dass wir jeder ein eigenes Zimmer haben. Aber ist nicht soziale Durchmischung auch gut?
Kurz nachdem ich nach Berlin gezogen war, kam mich mein Freund Jonas aus Heidelberg besuchen. Abends führte ich ihn in eine Bar um die Ecke. Wie angewurzelt blieb Jonas vor der Tür stehen. „In diese Yuppie-Kneipe willst du rein?“, fragte er empört. Er kannte den Namen der Bar schon von der linken Nachrichtenseite Indymedia. Offensichtlich hatte mein Lieblingscafé bis nach Heidelberg zweifelhafte Berühmtheit erlangt. „Wusstest du nicht, dass hier vorher eine alteingesessene Bäckerei drin war?“, fragte er. Die Besitzer der Bar hätte den Vermietern angeboten, fast die doppelte Miete zu zahlen, klärte mich Jonas auf. So musste die Bäckerei weichen. Das wusste ich nicht. Auch nicht, dass das, was ich für Kunst hielt, Farbbomben der Gentrifizierungsgegner waren.
Ich mag diese Bar. Ich mag die vielen Kerzen und die Weinkisten an den Wänden. Aber dass mein Verhalten etwas mit der Gentrifizierung zu tun hat, konnte ich ab sofort nicht mehr leugnen.
Wenn die Mieten weiter so steigen, muss auch ich irgendwann Neukölln verlassen. Aber ich bin flexibel, dann ziehe ich einfach nach Marzahn. Das kann nicht jeder. Während ich im grellen Gelb des Toto-Lotto-Ladens meinen Kondensmilchfilterkaffee trinke, denke ich, wie diese noch nicht entdeckten Stadtteile unberührt und authentisch auf mich warten. Das hat irgendwie etwas Koloniales.
Ich lasse den letzten Schluck Kaffee übrig, schmeiße den Pappbecher in den Plastikmülleimer eines großen Eiskonzerns, hänge mir den Jutesack mit meinem Laptop über die Schulter und mache mich auf den Weg in eines dieser neuen hippen Cafés.
Auf den Tischen liegen rot-weiß-karierte Tischdecken. Die Sessel sind so was wie antik, auf jeden Fall alt, und verströmen den Charme des scheinbar Zusammengewürfelten. Ich bestelle einen Milchkaffee. Der Schaum ist fest, dazu gibt es zwei in Schokolade gehüllte Kaffeebohnen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich während des Filterkaffees schon hierauf gefreut. Die Tische sind voll besetzt. Die meisten sind allein hier, aber in Gesellschaft ihres Laptops.
Das sind die neuen Räume, die sich anstelle von Toto-Lotto-Läden und Eckkneipen breitmachen. Dort, wo sich früher Menschen getroffen haben, hauen jetzt Einzelkämpfer in ihre Tasten. Individualismus verdrängt Gemeinschaft.
Wieso habe ich mich eigentlich für Neukölln entschieden, als ich vor einem Jahr nach Berlin zog? Ich habe auch im Wedding geschaut, aber Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg haben mich nicht interessiert. Dort schien es mir erwartbar, bürgerlich. Ich wollte etwas Spannendes.
Bevor ich nach Berlin kam, habe ich erst in Heidelberg gewohnt, das war mir zu perfekt. Dann zog ich nach Leipzig, das war mir zu deutsch. Neukölln scheint mir realer. Bunt. Lebendig. Ich gehe gerne in den türkischen Supermarkt, ich mag, dass sich die Menschen auf der Straße grüßen. Dass man schnell ins Gespräch kommt. Aber wieso gehe ich dann nicht häufiger in die alteingesessene Eckkneipe? Klar, mache ich auch schon mal, aber ich fühle mich dort fehl am Platz. Ist mir das dann zu viel Realität?
Während ich mein Biovollkorntoast mit Paprika-Cashew-Aufstrich bestreiche, klappe ich meinen Laptop auf. Er präsentiert stolz seinen leuchtenden Apfel. Ich gebe „Schillerkiez“ in das Suchfenster meines Browsers ein. Die Suchmaschine bietet mir an „Schillerkiez Wohnung kaufen“. Die Renditeerwartungen sind famos, lese ich.
Man sollte das Tempelhofer Feld restlos bebauen! Mit Genossenschaftswohnungen. Damit alle Renditeträume zerplatzen. Damit all die Menschen nach Neukölln zurückkehren können, die wegen den steigenden Mieten wegziehen mussten.
Ich bin keine Spekulantin, ich schlage kein Kapital aus der soziokulturellen Veränderung von Stadtteilen. Aber solange es keine gesetzlichen Schranken gibt, bin auch ich schuld an den Mieterhöhungen und Zwangsräumungen.
Weil ich, das studierte Mittelschichtskind, in prekären, aber selbst verwirklichenden Arbeitsverhältnissen 100 Euro mehr für mein Zimmer zahlen kann als meine Nachbarn. Weil ich meinen Kaffee und meinen Wein in Bars trinke, die mehr Miete zahlen können als der Toto-Lotto-Laden, dessen Kaffee nur 60 Cent kostet. Ich übernehme die Aufwertungsarbeit für die Spekulanten – ich bin der Motor ihrer Geldvermehrungsmaschinerie.
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