taz-Serie Schillerkiez: Die Mietentwicklung: Makler entdecken das Viertel
Lange wollte keiner hin, die Mieten waren niedrig. Jetzt wird vielerorts saniert, Immobilien werden verkauft. Wie das Haus in der Lichtenrader Straße, aus dem die Bewohner rausgeklagt werden.
Bohrlärm und laute Handwerkerstimmen dröhnen aus den offenen Fenstern. Ein Architekt läuft mit Plänen über den Hof. In den leer stehenden Wohnungen des Vorderhauses und im Seitenflügel des Altbaus in der Lichtenrader Straße 32 bohren, hämmern und renovieren Männer in Blaumännern. Sie machen die fast 20 Wohnungen bezugsfertig, die im letzten halben Jahr an Privatpersonen verkauft wurden.
Im Hinterhof glitzert eine Diskokugel in der Sonne. "Noch nie war mehr Anfang als jetzt", steht über der Haustür des Hinterhauses. Als die Bewohner das vor Jahren gesprayt haben, war von Veränderungen im Schillerkiez noch nichts zu spüren. Jetzt ist das Haus in der Parallelstraße zum ehemaligen Flugfeld eine der unzähligen Baustellen, an denen man hautnah miterleben kann, wie die Gegend umgestaltet wird, wie Mieten und Kaufpreise der Wohnungen steigen, wie neue Eigentümer und Mieter in die Gegend ziehen und einige alte ihre vormals günstigen Wohnungen verlassen müssen. Notfalls durch eine Räumungsklage, wie sie das Wohn- und Arbeitskollektiv "L32", Bewohner des Hinterhauses, bekommen hat.
Seit acht Jahren wohnt das Kollektiv im zweiten bis vierten Stock des Hinterhauses. In den vier Wohnungen leben zehn Studenten, Designer, Grafiker und Pädagogen zwischen 20 und Mitte 30. Im zweiten Stock öffnet Maria Wolf die Tür. Die 34-jährige Produktionsassistentin teilt sich mit drei Mitbewohnern ein 220 Quadratmeter großes Loft. Alles ist in Weiß gehalten, auch das große Regal, das sich an der Küchenwand entlangzieht.
Zwischen Flughafen Tempelhof und Hermannstraße liegt der Schillerkiez. Bislang galt das Viertel am Rande des Flugfelds als Armeleutegegend. Menschen aus vielen Nationen leben hier, mehr als 40 Prozent sind arbeitslos, der Kiez hat die höchste Bevölkerungsdichte von Neukölln.
Doch spätestens seit der Stilllegung des Flughafens 2008 ist aus dem innerstädtischen Viertel ein Quartier mit Potenzial für Investoren geworden. Seit Anfang Mai ist die 386 Hektar große Freifläche ein Park; es sollen Gewerbebetriebe entstehen und neue Wohnquartiere für die obere Mittelschicht.
Droht dem Schillerkiez nun also eine Welle von Aufwertung und Mietsteigerungen, wie sie weite Teile von Prenzlauer Berg und Kreuzberg bereits erlebt haben? Sind die Studierenden und Künstler, die seit einiger Zeit ins Viertel strömen, Vorboten einer Entwicklung, die in Friedrichshain und Mitte schon an ihrem Ende angekommen ist? Wird das einstige Arbeiterviertel gentrifiziert - oder wird es bei ein paar Townhouses am Parkrand bleiben?
Sicher ist nur eins: Der Schillerkiez wird sich verändern. Wer davon wie stark profitiert, wird man sehen. Die taz wird diese Veränderungen in den nächsten Jahren beobachten. Das Projekt läuft seit Mai 2010.
Die große offene Küche mit Tresen und Sofa ist das Zentrum der WG, von hier aus gehen vier Zimmer und ein Büro ab. An den drei Schreibtischen mit je zwei Flatscreens und überfüllten Aschenbechern werden vor allem Filme geschnitten. Einer von Marias Mitbewohnern ist Regisseur, sein neuester Dreißigminuter läuft gerade auf Festivals. "Bei solchen Projekten arbeitet das ganze Kollektiv mit. Wir leben nicht nur zusammen, wir sind auch beruflich total vernetzt", erzählt Wolf.
Die Kreativen haben einen Verein gegründet und Projekte mit Neuköllner Schulen, Ausstellungen, Straßen- und Sportfeste organisiert. Zwei Bewohner der L32 beteiligten sich 2007 an einem vom Senat initiierten Wettbewerb zur Gestaltung des Flugfeldes und belegten mit ihrer Idee von einem Erlebnisspielplatz den zweiten Platz. Eine der Bewohnerinnen betrieb im Vorderhaus zeitweise ein Hotel.
Dank günstiger Mieten - rund 1.000 Euro warm pro Loft - konnte das Kreativkollektiv in dem Haus einige Jahre walten und es als Experimentierfeld nutzen. Der reichlich dubiose Eigentümer hatte sich ins Ausland abgesetzt. Als die Zwangsversteigerung anstand, entwickelte der Verein ein Konzept für ein Hausprojekt mit Café, Hotel, Arbeits- und Wohnbereichen und suchte Investoren. "Doch die Wohnungen sollten einzeln versteigert werden. Das Risiko, dann nur eine Wohnung zu bekommen, war uns zu groß", erklärt ein Bewohner. Zu spät habe man erfahren, dass doch das ganze Objekt versteigert würde.
Die Immobilienfirma Tarsap hat den Zuschlag bekommen, die Wohnungen verkauft und dem Verein gekündigt. Der geht mit einem Anwalt dagegen vor. Weil die Besitzverhältnisse lange ungeklärt blieben, gibt es Streit über die Gültigkeit der Mietverträge der L32. Das Büro von Tarsap liegt nur ein paar Häuser weiter in derselben Straße "Es ist traurig für die Leute, aber die Zeiten solch niedriger Mieten sind vorbei", sagt Uwe-Andreas Piehler, Vertretungsbevollmächtigter für das Haus. Bei vielen Wohnungen im Kiez werde die einstige Warmmiete jetzt als Kaltmiete veranschlagt.
Tarsap verdient an den Veränderungen im Kiez, weil sie im richtigen Moment ins Immobiliengeschäft eingestiegen ist: Die vorher nur als Hausverwaltung tätige Firma handelt seit fünf Jahren mit Immobilien im Schillerkiez. Damals gab es laut Piehler eine Eigentumswohnung ab 700 Euro pro Quadratmeter, jetzt kosten sie doppelt so viel - mindestens. "Lange wollte keiner in die Gegend, jetzt ist nichts mehr zum Kaufen zu kriegen", sagt Piehler. Die neuen Eigentümer kämen allesamt aus dem Kunst- und Medienbereich.
Einer davon ist der Filmproduzent Rainer von Rottenburg. Er hat in der Lichtenrader Straße 32 gleich zwei Wohnungen gekauft. Im Erdgeschoss richtet er seine Produktionsfirma ein, im Stock darüber will der 44-Jährige mit seiner Freundin wohnen. "Ich wollte weg aus Prenzlauer Berg mit den ganzen militanten Eltern und ihren Kinderwagenpanzern", sagt Rottenburg.
Was die einen als Gentrifizierung kritisieren, ist für den Filmproduzenten die normale Dynamik einer Großstadt. "Wenn die Boheme eine Ecke entdeckt hat, ziehen die anderen irgendwann alle dorthin. Und wenn die Ecke versaut ist, zieht die Boheme wieder ab." Oder muss wegziehen, wie wohl die L32, die nach einem geeigneten Objekt sucht. Am liebsten wollen sie in Neukölln bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid