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taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI: Stimme meiner Generation „Das ist doch Bullshit“

Lohnt es sich überhaupt noch, für eine „bessere Welt zu kämpfen“? Und wie genau soll das gehen?

Der Gefühlszustand unserer Kolumnistin in den letzten Wochen Foto: Annette Hauschild/OSTKREUZ

taz FUTURZWEI | „Ich frage mich, ob sich das überhaupt noch lohnt irgendwie zu versuchen, nachhaltig zu leben. Oder glaubst du wirklich, dass sich dadurch überhaupt noch was groß ändern lässt?“ Der Typ, den ich vor etwa zwei Minuten bei dieser Hausparty kennengelernt habe, ist etwa Mitte zwanzig. Ich vermute, er ist vor wenigen Jahren mal begeisterter Fridays-Demonstrant gewesen. Jetzt steht er mit mir und einer Bierflasche in der Hand in der Küche und schaut mich ernsthaft besorgt an.

Eigentlich hatte ich gedacht, es wäre lustig, einen Witz darüber zu machen, dass Christian Lindner jetzt arbeitslos ist. So als witzigen Eisbrecher. Doch dann hat sich das innerhalb weniger Sätze in eine eher party-ungeeignete Richtung entwickelt. Warum kann der Ex-Fridays-Typ nicht einfach über Lindner lachen?

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Und sowas sagen wie „Krass, geht’s da grad ab im Bundestag. Aber immerhin ist mal was los.“ Stattdessen sagt er: „Warum überhaupt noch irgendwie aktiv werden? Ich mein, bringt ja eh nix. Die Leute wählen trotzdem die Scheiß-Parteien.“ Er hat ja Recht, aber ...

„Was wäre denn die Alternative?“ sage ich vielleicht etwas zu brüsk. Er schaut mich wirklich verzweifelt an: „Keine Ahnung. Einfach auch wie alle anderen mehrmals im Jahr irgendwohin fliegen. Ich meine, wenn eh alles den Bach runtergeht …Wenn die Mehrheit es so will, dass sollen sie die Rechten halt machen lassen ...“

Motivationsrede an mich selbst

„Das ist doch Bullshit“, sage ich. Und höre mir plötzlich zu, wie ich verteidige, woran ich selbst oft gar nicht mehr glaube: dass wir alle auch Eigenverantwortung tragen, dass man ja nicht einfach so seine Ideale verraten kann, nur weil es mal nicht so gut läuft. Dass ja noch längst nicht alles verloren ist, gerade jetzt sei es doch so wichtig, nicht aufzugeben.

Und dass wir ja nicht alleine sind mit dem Glauben an eine bessere Welt, dass wir eigentlich auch mehr sind als die anderen, dass es wichtig ist, den Diskurs zu führen, auch mit denen, denen wir nicht unbedingt zustimmen, ja, gerade mit denen!

taz FUTURZWEI N°30

taz FUTURZWEI – das Magazin, Ausgabe N°30: Wer ist das Volk? – Und warum ist Rechtspopulismus so populär?

Warum der Rechtspopulismus global und in Ostdeutschland so erfolgreich ist, können wir analysieren. Wie man ihn bremsen kann, ist unklar.

Diesmal im Heft: Jens Balzer, Ines Geipel, Jagoda Marini , Maja Göpel, Aladin El-Mafaalani, Thomas Krüger, Yevgenia Belorusets, Danyal Bayaz und Harald Welzer. Veröffentlichungsdatum: 10. September 2024.

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Ganz nüchtern bin ich offenbar nicht mehr. Ich nehme noch einen Schluck Bier, um mich etwas zu bremsen. Ideale nicht verraten, bessere Welt: Ich klinge wie ein Motivationscoach, denke ich mir. Aber einer, der komplett verloren ist und nur noch versucht, sich selbst zu motivieren.

Mein Gegenüber starrt mich ziemlich perplex an. Nickt dann matt und sagt nichts mehr. Was ist nur los mit mir? Ich empfinde doch oft genauso wie er, eigentlich jeden Morgen schon beim Frühstück, wenn ich mir die Nachrichten im Radio anhöre: Trump und Musk als so eine Art Doppelspitze für die USA, ein Bald-Kanzler Merz, der eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen „skandalös“ findet, aufgebrachte Bürger in einem Vorort von Valencia, die ihre Regierung und das Königspaar mit Schlamm bewerfen, weil ihre Existenzen durch das Hochwasser zerstört sind.

Wenn es nur so einfach wäre ...

Manchmal wünsche ich mir tatsächlich, die Lösung wäre so einfach; dass man einfach Weidel, Trump und Co. mit Schlamm bewerfen könnte und das Problem wäre gelöst.

Ist leider nicht so.

Um dem unangenehmen Schweigen zu entkommen, gehe ich auf den Balkon, zünde mir eine Zigarette an und starre etwas benebelt auf mein Handy, scrolle auf Instagram. Wenigstens da finde ich noch ein paar lustige Lindner-Memes.

Doch das Gespräch in der Küche gerade geht mir nicht aus dem Kopf: Es ist keine sechs Jahre her, da stand ich noch auf der Fridays Demo und glaubte an eine Bewegung, die endlich was verändern könnte. Und vor drei Jahren glaubten wir sogar an eine mögliche rot-grün-rot Regierung. Die kam zwar nicht, aber wir glaubten weiter an „Fortschritt“, an liberale Demokratien und progressive Werte.

„Wer soll dieses Wir eigentlich sein?“ höre ich die Journalistin in meinem Kopf sagen. Na, wir halt, die mit den besseren Argumenten, die wollen, dass es den Menschen auf diesen Planeten gut geht, die an Vernunft und ein friedliches Miteinander glauben, an Gleichberechtigung. Das sollte doch eigentlich die Mehrheit sein, oder? Oder?!

„Und das glaubst du wirklich?“ hakt die Journalistin in meinem Kopf nach und ich habe irgendwie das Gefühl, sie lacht mich aus.

Wo nur sich engagieren?

„Das politische Interesse von Jugendlichen ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Aktuell bezeichnen sich 55 Prozent von ihnen als politisch interessiert“, hatte ich letztens in der neuen Shell-Studie gelesen. Und weiter: „Es hat nicht den Anschein, als ob das politische Interesse sowie die Bereitschaft zum Engagement ein kurzfristiger und medial verbreiteter Effekt einer vermeintlichen ‚Generation Greta' waren, die unter sich ändernden Rahmenbedingungen jetzt wieder abebben würden.“

Es scheint also doch genug Leute zu geben, die bereit wären, sich zu engagieren. Aber wo? Und wie? Und wofür?

Eine Kachel auf Instagram unterbricht meine Gedanken: „Komm ins Team Robert.“ Daneben ein Foto von Robert Habeck mit nicht ganz so müdem Gesichtsausdruck wie in den letzten Wochen. Er krempelt die Ärmel hoch. Kurz ist die Hoffnung wieder da, ich sehe mich im Team Robert, mit hochgekrempelten Ärmel für das Gute kämpfen.

Moment! Bei den Grünen? Das geht ja gar nicht. Waren es nicht sie, die zugelassen haben, dass Lützerath abgebaggert wird? Die Gas-Deals mit Katar eingehen? Es ist nicht lange her, dass der Vorstand der Jungen Grünen geschlossen aus der Partei ausgetreten ist, um eine richtige linke Partei zu gründen. Da kann ich doch nicht jetzt bei Team Robert einsteigen? Oder doch?

Oder vielleicht doch lieber sich bei dieser neuen linken Bewegung der ehemaligen grünen Jugend engagieren? Gefahr laufen, dass sich die links-grüne Bubble noch mehr zerfasert, also die Bubble, zu der der Fridays-Typ und ich wohl gehören? Oder noch schlimmer: sich zurückziehen, selbstgefällig an vermeintlichen Idealen festhalten und die Zukunft der Welt den anderen überlassen?

Scheiße, ist das alles überfordernd!

Ich merke: Ich komme nicht richtig weiter und meine Zigarette ist aus.

Plötzlich steht der Typ von vorhin neben mir auf dem Balkon. „Du hast Recht, jetzt aufgeben ist totaler Bullshit.“ Er zündet sich auch eine Zigarette an. „Aber scheiße, ist das alles überfordernd manchmal.“

„Unsere Zukunft ist mir aber trotzdem wichtig“, sage ich angemessen pathetisch. „Und die ändert sich sicher nicht zu unseren Gunsten, wenn wir auf irgendwelchen Hauspartys deprimiert auf unser Recht bestehen.“

„Aber auch nicht mithilfe von Christian-Lindner-Memes.“

„Hellt aber etwas die Untergangsstimmung auf.“

Wir müssen beide lachen. Immerhin.

„Stimme meiner Generation“ – die Gen-Z-Kolumne des Magazins taz FUTURZWEI, geschrieben von Ruth Lang Fuentes und Aron Boks, erscheint in loser Folge auf tazfuturzwei.de .