szene: Die Blumen werden vertrocknen
Wo habt ihr mich denn hier reingeschleppt?“, sagt Matteo, als er zurück an den Tisch kommt.
„Warum?“, fragt Maral. Wir sind in einem bodenständigen vietnamesischen Restaurant in der Chausseestraße. Früher Freitagabend, der Laden ist gut gefüllt. „Habt ihr die beiden Frauen gesehen, die nach mir auf die Toilette gegangen sind?“ Maral nickt, ich schüttele den Kopf. „Die eine möchte ein Kind von mir, die andere behauptet, meine Mutter zu sein.“ - „Und?“, fragt Maral. „Was und?“ - „War es deine Mutter?“ Matteo rollt mit den Augen.„Sind sie das?“, frage ich und deute Richtung Toilette. Matteo nickt. Die Frauen sind gleich alt. Mitte vierzig, schätze ich. Sie setzen sich an einen Tisch nicht weit von uns entfernt.
„Die mit der Brille hat den Kinderwunsch geäußert“, flüstert Matteo. Dann muss die andere die mit den Muttergefühlen sein, schlussfolgere ich. Sie greift jetzt nach der Vase auf dem Tisch. Sie nimmt die Blumen heraus, es sind Astern, und setzt die Vase wie einen Bierkrug an. Sie trinkt. Sie trinkt die ganze Vase leer. Dann steckt sie die Blumen wieder hinein.
„Habt ihr das gesehen?“. Maral und Matteo nicken. „Das war bestimmt ein halber Liter.“ - „Die Blumen werden vertrocknen“, sagt Maral. „Das ist doch nicht normal“, sagt Matteo. Nein, normal ist das nicht. „Warum macht man so etwas?“ - „Vielleicht hatte sie einfach Durst.“„Dann hätte sie im Bad aus dem Wasserhahn trinken können.“ - „Stimmt.“ - „Vielleicht ist es eine Tiktok-Challenge“, sagt Maral. Ich sehe mich um. Eine Menge Gäste sehen in ihre Smartphones, aber niemand filmt. „Eher nicht.“ - „Vielleicht hat sie eine Diagnose“, sagt Matteo. „Schaut mal. Ihr linkes Augenlid zuckt.“Wir schauen.- „Oder Drogen genommen.“ - „Soll ich rübergehen und fragen?“, sage ich. - „Bloß nicht“, sagt Matteo. - „Dann bleibt es ein Rätsel.“ - „Damit kann ich leben.“- „Lasst uns bestellen“, sagt Maral. „Ich brauche dringend was zu trinken.“
Daniel Klaus
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