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szeneSehnsucht am Geld­automaten

Unser erster Halt war immer der Geldautomat an der Ecke Kottbusser Damm und Weserstraße. Dann gingen wir mit den Sporttaschen voller verschwitzter Klamotten vom Kickboxtraining die Straße hinunter bis zum Reuterplatz. Schon auf dem kurzen Weg redeten wir ununterbrochen über die neuen Techniken, die wir gelernt hatten – gemischt mit Erzählungen von unserem Wochenende. Am Späti kauften wir Bier und Chips, immer dieselben Sorten. Sommer wie Winter saßen wir dort; nur manchmal, in den kalten Monaten, wenn wir nach einer Flasche Bier schon richtig froren und die Hände trotz Handschuhen steif wurden, suchten wir dann Wärme in der Schilling, der Kneipe gegenüber. Aber eigentlich war es immer am Späti, wo wir uns die wichtigen Dinge erzählten. Zum Beispiel erzählte ich ihr von meiner Liebesgeschichte in Brandenburg – Jahre später gestand sie mir, dass sie damals eifersüchtig geworden war. Oder sie sagte mir, dass sie Berlin verlassen wolle, und ich erwiderte, dass mich das traurig mache – aber wie traurig ich wirklich war, habe ich erst später gemerkt.

Dort redeten wir über Politik oder ärgerten uns über den Späti-Verkäufer, der Leute wegschickte, weil sie ihm zu laut waren, und zu Menschen, die nach Geld fragten, unfreundlich war. Trotz allem nannten wir den Tisch, an dem wir immer saßen „unseren Tisch“ und den Ort „unseren Späti“ – und tun das immer noch, wenn sie jetzt zu Besuch kommt und wir extra wegen der alten Zeiten dorthin gehen. Sie wohnt nun seit drei Jahren in einer anderen Stadt und ist seitdem nicht nur „eine“ Freundin, sondern auch „meine“ Freundin. Darüber bin ich glücklich – und trotzdem vermisse ich unser wöchentliches Ritual. Das merke ich spätestens, wenn ich am Geldautomaten vorbeigehe und eine Sehnsucht in mir spüre, und erst recht, wenn ich am Späti sitze und an sie denke.

Luciana Ferrando

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