sydney-syndrom: Entsportlichung
Irgendwie sind ARD und ZDF immer am falschen Platz. Gestern also beim Wettbewerb der Fleischberge um die Kunst, möglichst viel Gewicht über den Kopf zu bringen: Ronny Weller war der deutsche Kandidat in der superschweren Abteilung des Gewichthebens.
Und wie schon vorige Woche, als beide Sender sich immer dann von den entscheidenden Finals – beim Schwimmen, in der Leichtathletik, beim Rudern –, also von der eigentlichen Wettkampf-Spannung, zurückzogen, war es auch gestern: Live eingeblendet wurde durchweg nur deutsches Stemmen und Reißen, die Anstrengungen der internationalen Konkurrenz bleiben im Dunklen.
Das mag eine Frage der redaktionellen Entscheidung sein: Welchem Wettkampf geben wir jetzt den Vorzug, wenn mehrere zeitgleich laufen.
Nur: Zeitgleich zum Gewichtheber-Finale gab es Wasserspringen der Männer sowie ein Hockeyvorrundenspiel. Und gezeigt wurden natürlich die Stockschläger, nicht die Sprungkonkurrenz, und schon gar nicht das Gewichtheben.
Genau dies führt zu einer Entsportlichung des Sports – und so zu mageren Einschaltquoten. Sport ist, wenn man am Anfang nicht weiß, wie es endet. Doch ARD und ZDF kaprizieren sich wie bei keinen Olympischen Spielen zuvor fast ausschließlich auf die (deutsche) Medaillenhascherei – ein tödlicher Fehler bei der Inszenierung von Sport.
Die Dramen des Wettkampfes, das Mitfiebern, Mitspekulieren, bleiben ausgespart. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob man nun Waldemar Hartmann, Michael Antwerpes, Michael Steinbrecher oder Johannes B. Kerner mag, ob einem deren Moderations-, besser: Animationsstil behagt.
Olympische Spiele leben, wenn man sich schon dafür entscheidet, rund um die Uhr zu senden, davon, dass man viele Wettkämpfe möglichst ausführlich zeigt: Sonst wird alles zur Seifenoper. Das Finale der Gewichtheber lief übrigens in voller Länge bei – na klar: Eurosport. JAN FEDDERSEN
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