strübel & passig : Callboy zum Mindestlohn
Ach, Sie wollen gar nicht bestellen? Aber das ist eine einmalige Chance! Das kümmert Sie nicht? Aber Sie können eine ganze Serie von erstklassigen Traumkolumnen gewinnen! Wie, Sie wollen lieber keine Anrufe mehr? Selbstverständlich, da, hören Sie, wie ich Ihren Eintrag aus unserer Datenbank lösche? Dann bis nächste Woche!
Die Telematrix hat mich, seit Wochen werde ich in einem peaked call arrival allabendlich outbound von Agenten belästigt. Immer hab ich angeblich bei einem Preisausschreiben im Internet mitgemacht. Immer hab ich angeblich gewonnen, und zwar die Chance, irgendwas zu kaufen. Immer sage ich: „Das interessiert mich nicht.“ Und nie hört man mir zu. Immer heuchelt man Verständnis. Und ruft mich ein paar Tage später wieder an. Das kostet mich im Schnitt sicher 7 Minuten am Tag. Rechnet man das auf ein ganzes Leben hoch, verbringe ich vermutlich mehr Zeit mit dem Abwehren von Call-Center-Anrufen als mit Fräulein Passig. Das kann die Maslow’sche Bedürfnispyramide so nicht gewollt haben.
Wieder einmal suche ich mein Heil deshalb im Internet. Denn nachdem ich mich erfolglos mit selbst gebastelten Antworten freisprechen wollte, indem ich wahlweise den Paranoiker („Internet? Das ist doch nur so ein Überwachungsprojekt der Regierung. Sind Sie auch von der Regierung?“) oder die harthörige alte Dame („Sie müssen lauter sprechen, junger Mann“) gab, finde ich dort Ratschläge, die zwar nicht zur Einstellung von Anrufen führen, die verschwendete Zeit selbst jedoch lustiger gestalten. Mit dem schönen Script www.xs4all.nl/~egbg/counterscript.html verunsichere ich teilzeitassimilierte Teleborgs durch professionelle Einwandbehandlung. Ich frage schon mal, was sie anhaben und ob sie mir nicht ihre Privatnummer geben können. Allein selbst die fröhlichsten Gegenstrategien, etwa fun.buildpal.com/Ten_Ways_to_Terrorize_a_Telemarketer_in_Your_Spare_Time.html oder mem bers.tripod.com/~DreamPost/Funny .html, führen letzten Endes zu gar nichts: auf jeden Cold Call folgt ein Follow-up, und alle Tage werde ich von neuem durch den CRM-Wolf gedreht. Selbst die Trillerpfeife neben dem Telefon will nicht recht helfen.
Gerne sähe ich es deshalb, könnte ich mein eigenes Call-Center mit der Beantwortung von Call-Center-Anrufen beauftragen. Das Konzept des „Meine Agenten gegen deine Agenten“ hat schließlich auch im Kalten Krieg ganz wunderbar funktioniert. Für eine outgesourcte Counter-Intelligence einen kleinen Obolus zu entrichten, wäre ich durchaus bereit. Viel kann das ja nicht kosten, denn der Agent an sich verdient heutzutage ja doch nur einen kargen Mindestlohn. Dafür könnte er dann auch gleich meine eigenen Anrufe bei Call-Centern übernehmen, denn die steht man als untrainierter Mensch ja kaum durch. Er aber würde die Warteschleifenmelodien ganz gelassen mitpfeifen.
Ach, ich gehe einfach gar nicht mehr ans Telefon, das ist noch preiswerter. Wer was von mir will, der wird mir schon Spam schicken müssen. Für den Notfall nehme ich zwei Jogurtbecher und ein 600 Kilometer langes Stück Schnur und spanne das Ganze zwischen Passigs und meinem Küchenfenster. Und sollte zufällig ein Call-Center-Agent irgendwo in Hessen drüber stolpern – ich hätte nicht das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen! IRA STRÜBEL