strübel & passig: Mein Internet gehört mir
Personalisierung ist im Alltag eine durchaus schätzenswerte Angelegenheit: „Guten Tag, Frau Strübel. Das Übliche?“ klingt meinen Ohren jederzeit angenehmer als: „Guten Tag, Gasteinheit 274-A, Sie wünschen?“ Wird man erkannt als die, die man ist, fühlt man sich doch gleich viel weniger wie Kaspar Hauser. Deshalb finde ich es auch im Netz nur gerecht, dass manche Webseiten wissen, wie ich heiße und was ich beim letzten Besuch gekauft habe.Ich kenne ja schließlich auch deren Namen.
Dabei hat das Internet ohnehin nicht mehr Gefühle oder Gespür für meine Wünsche als ein Brief von Lotto Faber. Es tut lediglich so, als kenne es mich, verlässt sich in Wahrheit jedoch auf meinen Sinn für Suchbegriffe und das, was ich ihm von mir verrate. Fragt mich das Netz nach meinen Interessen, sage ich: Keine. Das Netz glaubt mir und zuckt nicht einmal mit den Schultern. Ich finde das großartig und gut so. Nicht auszudenken, wenn die Benutzerführung tatsächlich intuitiv würde und meine wahren Wünsche erahnte. Die Matrix hätte mich. Und ich wäre ohne Unterlass Unbill und Blößen ausgesetzt.
Bei der Arbeit zum Beispiel: Ein Kollege fragt mich etwas, ich bin höflich und google für ihn, weil er es nicht so mit dem Ausdenken vernünftiger Suchbegriffe hat. Das Internet, wohl wissend, dass ich innerlich grolle und denke: „Soll er es halt endlich lernen“, antwortet entrüstet: „Das willst du doch gar nicht wirklich wissen!“ Der Kollege sieht's und schmollt.
Oder während eines Kundentermins. In äußerlich Zen-gleich wirkender Konzentration rufe ich eine Präsentation aus dem Netz auf, um dem Kunden unsere Strategie zu erläutern. Charmant plaudere ich von der großen Zukunft und Tragfähigkeit des Konzepts, während die Charts laden. Das Internet aber merkt, dass ich schon seit dem frühen Morgen ganz anderes im Sinn habe. Ich lande bei www.grosseschwaenze.de und siebenundzwanzig verwandten Pop-ups. Das Internet höhnt „Komm, du willst es doch auch“, der Kunde ist entsetzt. Mein Chef schreibt schon mal die Kündigung.
Noch schlimmer als das Erahnen meiner heimlichen Bedürfnisse würde sich allerdings die andere Seite einer echten Personalisierung auswirken: Womöglich müsste man dem Netz dafür eine Persönlichkeit verpassen. Eine abscheuliche Vorstellung: Aus der Empfindsamkeit für meine Wünsche ergäbe sich eine Empfindlichkeit, die zu berücksichtigen ich gezwungen wäre.
Bei Google müsste ich zu allen Suchbegriffen immer noch ein „bitte“ eingeben, sonst käme nur ein zickiges „Wie heißt das Zauberwort?“. Um das Netz bei der Stange zu halten – schließlich birgt es jede Menge Ablenkung in sich –, müsste man hin und wieder „Super! Danke!“ oder „Prima, weiter so!“ eintippen. Wer Pech hat, erwischt eine Oberfläche, die zu schüchtern ist, um sich mitzuteilen. „Ach, nichts“ oder „Darüber möchte ich lieber nicht sprechen“ erhielte man als Antwort auf jegliche Suchanfrage. Als User wäre man, gelinde gesagt, gekniffen, bis es blau wird.
Nein, so etwas kann kein Mensch wollen. Mir reichen „my ebay“ und „my yahoo“ voll und ganz, manchmal sind sie bereits mehr, als ich ertragen kann. Sollte mir also jemand mit der Vision von „my Internet“ kommen, kann ich nur sagen: My Fresse! Beziehungsweise: My Internet? My ass! IRA STRÜBEL
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