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Archiv-Artikel

strafplanet erde: null koma nichts von DIETRICH ZUR NEDDEN

Was übrig geblieben ist vom alten Jahr, von den jüngst vergangenen Tagen, muss irgendjemand nach unten bringen und in die längst überquellenden Mülltonnen stopfen. Nur gut, wenn einem dabei geholfen wird, denn merke: Was einer gern alleine tut, wird zweien nicht zu viel.

Mit geröteten Augen wird dann mal ein Blick riskiert – „so ganz persönlich“, uaaah – sogar auf die Gefahr hin, dass daraus der „kühnste Flug des faselnden Menschen“ (G. C. Lichtenberg) wird. Da wären die Reste der besinnlichen Phase, die hinter uns liegt. Besinnlich, aber unsensibel, wenn man beispielsweise an die Eltern denkt, die als Festmahl einen Rehrücken servierten, nachdem sie ihrem Jüngsten ein Bambi-Video geschenkt hatten. Für ein Trauma dieser Dimension würde ich nicht gern verantwortlich sein. Der Passant, der am selben Tag auf dem vereisten Trottoir „den Sittich machte“, wie es der standfeste Postbote quasi live kommentierte, nahm das Urteil vorweg: „Das ist ja nicht mehr feierlich.“

Oder der Internet-Provider AOL, der im leider unvermeidlichen Willkommenfenster den Kleinanzeigentext „Suche Freundin, biete Toaster“ stehen hatte. „Grill“ hätte höchstwahrscheinlich Ermittlungen der straftatverfolgenden Behörden zur Folge gehabt.

Aber man selbst machte ja auch einen Fehler nach dem anderen. Nur fünf Minuten in die Show „Deutschland sucht den Superstar“ hineingekuckt, und der Kulturpessimismus, dem man ansonsten den erbittertsten Widerstand leistet, schlägt Kobolz, dann lang hin und richtet sich größer denn je auf. Ir-gendwie waren die Bilder, die einem da entgegenschwappten, ziemlich deckungsgleich mit dem, was ich mir unter den Gehirnwaschgängen der Scientologistas vorstelle. Aber Fernsehen ist freiwillig, man kann umschalten. Und liest dann auf dem Laufband des DSF-Bildschirms die Worte des Fußballtrainers Werner Lorant: „Für mich ist Fußball keine Wissenschaft, sondern harte Arbeit.“

Endlich also doch fluchtartig ab- und das Radio einschalten, wo man garantiert die falsche Frequenz erwischt: „Hitradio Antenne und die Kirchen Niedersachsens präsentieren ‚Hits from Heaven‘“. Nicht eine einzige Nummer von den Clash spielten sie, obwohl die Nachricht vom Tode Joe Strummers auch Leute, für die Punk nicht zu den entscheidenden Ereignissen ihrer Jugend zählt, ir-gendwie berührte. Zum Gedenken legten industrialisierte Romantiker vielleicht eine Clash-Platte auf. „Play it loud!“ stand damals häufiger auf einem Cover, während heutzutage meist sedativ argumentiert wird in Chill-out-Lounges bei gedämpfter Musik. Dieser Hang zur Sanftmütigkeit ist, wie ich während einer Plauderei mit dem Besitzer eines Kopierladens feststellte, auch bei weiten Teilen der Wirtschaft zu beobachten: Was früher Konkurrent hieß, dann Mitbewerber, wird nun Marktbegleiter genannt.

So kam der Dreiklang gerade recht, der sich in einem Roman fand: „Null Koma nichts“ stand da. Alles deutete darauf hin, dass es ein Druckfehler war, wenn auch einer, der bleibt. Aber bitte nicht als Motto fürs neue Jahr verwenden.