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strafplanet erde: mobiles hirn

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Auf Platz eins meiner Graffiti-Hitliste hält sich seit zwei Jahrzehnten das damals in einem so genannten Arbeiterviertel entdeckte „Brot für die Welt, die Wurst bleibt hier“. Ein Slogan, dessen Pointe die Perspektive von hier aus ziemlich genau beschreibt. Jetzt kam mir der Satz wieder in den Sinn, denn buchstäblich zumindest stimmt er nicht mehr. Heute bleibt das Brot hier, die Wurst wird im Zweifelsfall verbrannt.

Eigentlich verbieten sich semikomische Bemerkungen zum prionisch verursachten Hirnschwamm und der davon ausgelösten Aufregung von selbst, zumal es nur wenigen Menschen gegeben ist, nicht in die populären Reaktionsmuster zu verfallen, die uns alle zu Blitzmerkern machen: „Wir wollten doch sowieso weniger Fleisch essen, und das bisschen holen wir vom Ökoschlachter.“ Aber manchmal unangeschnallt Auto fahren und immer noch eine Schachtel am Tag rauchen, halten der Bauern-Präsident und ich dagegen.

Die Gesamtsituation aber normalisiert sich: Der verwegene Wirt des „Bei Angelo“ hat jetzt die Werbetafel wieder rausgestellt, mit der er seine „1 Meter Currywurst!!!!!“ propagiert. Immerhin könnten in diesem Meter ja die entscheidenden Zentimeter sein, die den Komsumenten dann in zehn oder fünfzehn Jahren circa zwei Meter unter die Erde bringen.

Und die Schlachterei Ecke Rampenstraße sucht händeringend per Aushang eine Fleischfachverkäuferin für sofort. Auf der anderen Seite bot der Bioladen neulich eine Avocado-Sorte an, die sich tatsächlich „Hass“ nannte, wie der Verkäufer bestätigte: „Jo, die heißt so“, und in seinen Augen funkelte Entschlossenheit.

Dito und schon viel länger verbieten sich Bemerkungen zu Mobiltelefonen und ihren Besitzern von selbst, aber ich brauche sie für den Schluss. Ist es nicht ein denkwürdiges Bild, einen Mann – es ist immer ein Mann – vor dem Regal mit den Backzutaten stehen zu sehen, der ein Telefon ans Ohr hält und sich fernmündlich, wie es früher hieß, Anweisungen geben lässt, welches Tütchen er denn bitte schön kaufen soll? Stünde er doch wenigstens vor dem Kondom-Sortiment.

Und nun die prospektive Synthese: Spätestens im Sommer werden erste Vermutungen laut, dass Creutzfeld und Jacob und wie sie alle heißen nicht etwa dem tierverachtenden Füttern von Tiermehl anzulasten sind, sondern dem Gebrauch von Mobiltelefonen. Im Herbst bestätigen Gutachten den Zusammenhang, die Rinder werden freigesprochen, die Millionen gekeulten nachträglich um Verzeihung gebeten.

Die Vorzeichen sind unmissverständlich: „Amerikanische Anwälte wollen den US-Branchenführer Verizon Wireless wegen möglicher Gesundheitsschäden beim Telefonieren verklagen“, war jüngst zu lesen. Hintergrund sei „die wachsende Unsicherheit bei Mobilfunk-Nutzern“, dass durch die Radarwellen beim Handygespräch Gehirntumore entstehen könnten. „Die britische Regierung rät, Handytelefonate kurz zu halten; vor allem aber sollten Kinder nur im Notfall mit dem Handy ...“ Nein, legen Sie noch nicht auf, es geht noch weiter ... – ??? – aufgelegt.

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