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strafplanet erde: in zeiten des brunchismus

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Es ist noch eine Ruhe vorhanden, steht über dem Eingang des Friedhofs der Namenlosen auf Amrum. Es ist ein Friedhof für an den Strand gespülte Tote, die man nicht identifizieren konnte. Das tröstende Versprechen fiel mir wieder ein, als ich nach dem Ende der weltgrößten Messe für Informations- und Telekommunikationstechnologie durch die Straßen unserer kleinen Großstadt radelte, wo jene Messe alljährlich stattfindet.

Die Ruhe ist wieder vorhanden, Zufahrtsstraßen und Innenstadt sind ausgestorben, da die Dot-Komparsen und Kommerzialräte des E-Business fort sind. Immerhin kann man abends wieder ausgehen. Während der turbulenten Woche verzichtet man darauf. Die Restaurants präsentieren dann ihre Spezialkarten. Beim Pizzabäcker kostet ein Teller Suppe zehn Mark, und die Nudelgerichte fangen bei siebzehn Mark an. Das mag auch daran liegen, dass das allgemein geschätzte Symbol der hiesigen Messe-Gesellschaft der Hermeskopf ist: Hermes, der Gott der Diebe, ein „Geist göttlicher Betriebsamkeit“, wie es in einer alten Darstellung heißt: „Er dachte ferner Maß und Gewicht aus und den Gewinn beim Handel, und die Kunst, heimlich Anderen das Ihre zu entwenden.“

Also bleibt der sparsame Einwohner der Gastgeberstadt lieber priveé oder nimmt eine Einladung zum Brunch an, obwohl Brunch eindeutig zu den Hasswörtern gehört, die einem nicht freiwillig über die Lippen kommen. Wenn’s hochkommt, tippt man sie in die Tasten des Computers, aber auch dann kommt’s einem hoch.

Neben dem Büffet standen drei junge Väter. Ihre Kinder ramenterten im übrigen Teil der Wohnung, die Mütter tauschten im Wohnzimmer die üblichen Statusmeldungen über den Nachwuchs aus: Insgesamt eine Veranstaltung, die nachdrücklich die allgemeine Klage über die Spitz auf Knopf stehende Alterspyramide dementierte. Die drei Väter aber zeigten einander ihre Autos, die offenbar vom Fenster aus gut zu sehen waren, und erzählten, welches sie als nächstes anschaffen wollten. Ich war beim dritten Mettbällchen, als ein Begriff fiel, den wahrscheinlich alle Menschen außer mir kennen. Es ging um Multi Purpose Vehicles, das heißt, ob es nun ein Sharan oder ein Zafira oder doch der Espace sein soll. Ihre Kinder, entnahm ich am selben Wochenende einer Illustrierten, werden demnächst den Chappo fahren, den Nissan für eine „internationale Zielgruppe von 20- bis 30-Jährigen“ konzipiert, „die schon über ein relativ hohes Einkommen verfügen, aber noch bei den Eltern wohnen.“ Der Innenraum ist mit „modernster Kommunikationstechnologie“ ausgestattet. Außerdem lässt sich der „multifunktionale Fahrersitz“ drehen, sodass eine „Sitzgruppe mit Wohnzimmeratmosphäre“ entsteht. Die Schlussfolgerung: „Das Auto bildet nicht mehr die Schnittstelle zwischen Heim und Arbeitsplatz, sondern übernimmt beide Funktionen.“

Und wenn der Spaß zu Ende geht, gibt man im Navigationssystem einfach das Wort „Friedhof“ ein. Die „attraktiven Angebote“ für die Vorsaison auf Amrum stehen heuer unter dem Motto: „Platz da, Ruhe hier!!!“

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