strafplanet erde: hochdruckgereinigte deutsche sprache von DIETRICH ZUR NEDDEN:
Am Montag stand mein Telefon nicht still. Machtvoll und anklagend läutete es wie die Glocken am Tag, als Conny Kramer starb. Die Anrufer hatten die druckfrischen Berichte über die Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gelesen. Sie fragten sich und nun, da sie keine plausible Antwort fanden, mich, warum denn bloß ich nicht das Eingangsreferat gehalten habe. Tja, was sollte ich darauf sagen? Wie reagieren, ohne kulturpessimistischer Arroganz geziehen zu werden? Um ehrlich zu sein, hatte ich mich das nämlich auch schon gefragt, als ich vom Titel der Tagung erfahren hatte: „Literatur, deutsche Sprache: was soll’s?“
Tatsächlich hatte ich in Erwartung der bestimmt auf dem Schneckenpostweg sich befindenden Einladung vorsorglich ein paar Notizen gemacht. Damit ich die Eröffnungsrede nicht so ganz prima vista und aus der hohlen Hand halten müsse, brainstormte ich quasi mit mir selber.
Geschickt wollte ich eingangs die Angst, ja cholerische Hysterie vor der Anglizismenflut auf subtile Weise schüren, indem ich statt der omnipräsenten Exempel „Handy“ (das die englische Sprache nicht kennt) und „Kids“ ein bewusst auf den ersten Blick harmloses, letztlich aber umfassend kulturkritisches Beispiel aus dem Freizeitsportbereich anführen würde, den Umstand nämlich, dass bei Marathon- oder Triathlonwettbewerben alle Teilnehmer, die durchhalten, ein „Finisher“-T-Shirt bekommen, ein Wort, das es mit dieser Bedeutung im Englischen meines Wissens gar nicht gibt.
Praktikable Lösungsvorschläge hätten selbstverständlich nicht gefehlt. Warum sollen „Pommes rotweiß“ nicht sprachgeregelt „Dialog von gebackenen Kartoffeln an Öl-Eigelb-Schaum und Tomatenessenz“ heißen? Das schmeckt doch gleich ganz anders. In diesem Sinne wäre auch für den Zollstock, der ja in Zentimetern misst, unbedingt der Name „Gliedermesslatte“ Pflicht.
Auf jeden Fall, so der dritte Schwerpunkt meiner Rede, sollten deutsche Wörter, deren Bedeutung keine Entsprechung mehr in der Wirklichkeit haben, weiterhin gepflegt werden, Signifikat hin, Signifikant her. Wörter wie „Sendeschluss“ beispielsweise oder „Testbild“.
Um mich viertens als Mann der Praxis auszuweisen, hätte ich aus meiner Jugendzeit erzählt, als zwei oder drei Linguistikseminare weniger nachhaltig auf mein Sprachverständnis wirkten als die Erfahrung, dass man unterschiedliche Dinge meint, je nachdem man nun einen Halben am Kiosk oder in der Hähnchenbraterei bestellt.
An den Schluss hätte ich eine launige Anekdote gesetzt, um zu beweisen, dass die deutsche Sprache nicht nur Wörter aus der Fremde souverän sich aneignet, sondern aus sich selbst neue erfindet, sogar ganze Verben. Vor ein paar Tagen begegnete ich einer Bekannten, die mit einem Hochdruckreiniger direkt vor ihrer Haustür hantierte. Sie müsse die Steinplatten kärchern, erläuterte sie ihr Tun. Quod erat dank Raab-Kärcher demonstrandum: Die deutsche Sprache stirbt nicht, sie klingt nur Jahr für Jahr ein bisschen anders. Vorsicht: Frisch gebohnert!
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