strafplanet erde: geile matratze:
von DIETRICH ZUR NEDDEN
In „Faraway Eyes“ erwähnt Mick Jagger einen Prediger, der im Autoradio davon spricht, dass mit Gott an der Seite einem nichts passieren könne, und daraufhin fährt er über alle roten Ampeln. Ich stand an einer Ampel und wunderte mich wie stets über die Menschen, die immer noch versuchen, die Vibrationsapparatur für Blinde als Drucktaste für einen Lichtzeichenwechsel zu benutzen, obwohl bereits vor etwa zehn Jahren Max Goldt und Wiglaf Droste in ihrem Bericht über eine Finnlandreise auf dieses Missverständnis hingewiesen haben.
Dauert eben höllisch lange, bis der Mensch an sich wirklich was kapiert. Ich sollte mich weiter wundern, denn am Pfeiler, der die Ampel für Fahrradfahrer trug, klebte ein Zettel: „Aktion für menschengerechte Ampelschaltungen“ stand darauf, und ich war sofort damit einverstanden. Dann erst merkte ich, dass neben mir die Pfeife von Björn Engholm ebenfalls auf Grün wartete, allerdings nur aus dem einzigen Grund, damit ich Björn Engholm in diese Kolumne hineinkriege.
Engholm – zwar ein erledigter Fall, aber immerhin „ein Stück weit“ Trendsetter im deutschen Umgangssprachensound und einem Buch von Eckhard Henscheid seinen Namen leihend –, Engholm hat in einer großen weißen Wochenzeitung behauptet, dass er einen Traum habe. Der erste Satz ging so: „Mein Traum ist auch ein Anliegen.“
Würden Sie weiterlesen? Ich habe es bis zum Ende des ersten Absatzes geschafft: „Mein Traum ist, die Menschen zu wecken und ihnen klar zu machen, dass alte Matratzen nur Rückenschmerzen erzeugen.“ Und dann musste ich natürlich doch weiterlesen, und das war gut so, denn sonst hätte ich das Finale verpasst: „Realität ist, wo man durchmuss. Daran wachsen oder scheitern wir.“
Die Realität ist also quasi eine alte Matratze, womit ich auf den „Tunix-Kongress“ von 1978 zu sprechen kommen muss. Ich war süße picklige Siebzehn, hatte einen Aufruf in die Finger gekriegt und war mit fünf oder sechs mehr oder weniger Bekannten nach Berlin gefahren, darunter eine Frau, die Jahre später wegen eines Sprengstoffanschlags gesucht wurde. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich selbstverständlich in Marienborn ausgestiegen. Irgendwie landeten wir zum Pennen in der Einzimmerwohnung eines freundlichen undogmatischen Linken, der außerdem Besuch von seiner Freundin hatte. Die beiden vögelten die halbe Nacht inmitten der notdürftig hergerichteten Matratzenlandschaft, was mich mehr beeindruckte als die Demo gegen das Schmidt’sche „Modell Deutschland“ und die dabei eingeschmissenen Scheiben einer Mercedes-Filiale auf dem Ku’damm.
Unser Gastgeber aber erzählte später von seiner Beobachtung, dass Wirtschaftsunternehmen gern Führungskader aus den K-Gruppen engagieren würden, weil die organisieren könnten und diszipliniert seien.
Man müsste ihnen nur beibringen, dass Geld geil ist. So hatte ich das noch nicht gesehen, hatte also etwas gelernt, wie sich im Laufe der folgenden Jahre herausstellen sollte.
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