strafplanet erde: die extrem erfolgreiche buchidee von DIETRICH ZUR NEDDEN :
Es war beim Treffen der Selbsthilfegruppe für labile Stoiker vor drei oder vier Wochen. Ich hatte eine brauchbare Idee. Dachte ich. Und dachte nicht daran, dass ich mich in der Beziehung häufiger täusche. Egal. Als extrem labiler Stoiker, der Befund dürfte ursprünglich ausschlaggebend für den Einfall gewesen sein, wäre ich vielleicht prädestiniert, ein Vademecum für Jungschriftsteller zu verfassen, die, hungrig nach differenzierter Formensprache und strotzend vor Kreativität, nach handwerklichen Ratschlägen gieren, wie man beispielsweise Schachtel- oder auch Bandwurmsätze vermeidet.
Es gibt auf dem Sektor allerhand. Bekannt ist mir nichts davon. Trotzdem behauptete ich schlankweg einige Zeit später meinem zuständigen Abteilungsleiter gegenüber, es fehle ein Leitfaden, der ertragreiche Anleihen bei anderen Kunstgattungen mache. Auf dem Flohmarkt war mir nämlich Ernst Landls querformatige Broschur mit dem Titel „100 viertaktige Einleitungsphrasen für den Jazz-Pianisten“ in die Finger geraten (erschienen bei Weltmusik Edition International, Wien, Seilergasse, o. J.). Das Konzept gedachte ich auszubauen und ordentlich aufzublasen zu „1000 achtzeilige Einleitungsphrasen für Original-Genies“.
Der schwachmütige Abteilungsleiter telefonierte sicherheitshalber mit dem Chef. Eine Mail hätte gereicht, aber von mir aus. Der Chef erschien kurze Zeit später aufgeregt, kuckte sich den Entwurf an und verdrehte die Augen. Kopfschütteln, Stoßseufzer, das Übliche in steigender Tonfrequenz. Ob ich denn völlig bescheuert sei! Das interessiere niemanden! Und einen juristisch relevanten Plagiatsvorwurf würde er sich damit bestimmt auch einhandeln. Mein Einwand, er würde möglicherweise Ernst Landl mit Ernst Jandl verwechseln, nützte nichts. Dem Abteilungsleiter schwante, was kommen würde, und er empfahl sich, irgendwas murmelnd von „ich hab ja ganz vergessen …“
Den Schwerpunkt der unvermeidlich folgenden Generalabrechnung verlagernd, wechselte der Chef dann von der Angestelltenbeschimpfung in die Selbstanklage. Dass er ja selbst schuld sei, warum habe er nicht den Job bei Großkotz, Schwurbel & Partner behalten und so weiter und so fort. Um sich runterzufahren, hielt er einen Kaffee für angebracht und rief den Room Service des Agentur-Syndikats an. „Bringen Sie mir einen Café Latte und ein Stück von der Sacher-Masoch-Torte.“ Ein glattes Plagiat, das wusste ich nun wieder, ersparte es ihm und mir aber, das laut zu sagen. Leute wie ihn, die wissen, was eine Sondertilgungsklausel ist, halte ich für unberechenbar.
Nach dem Schmaus schien er weitgehend wiederhergestellt. Die düsteren Wolken zogen dahin. Die düstersten Wolken zogen vorüber. Aber es würde den Rest des Tages überwiegend trüb bleiben mit gelegentlichem Sprüh- und Nieselregen.
Auf dem Heimweg verschlug es mich in einen Weinausschank, wo ich trostsuchend an der Theke einen Platz ergatterte. Neben mir zwei Typen, die aussahen wie subalterne Manager. Treffer! Dachte ich, als der eine zum anderen sagte: „Weißt du, wir haben so viele Leute bei uns, die keine Lösungsaggressivität haben.“ Und ich hatte wieder eine Idee.