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Archiv-Artikel

stefan kuzmany über Alltag Und heute fliegt Daniel raus. Krawumm

Seltsam, aber Wahrheit: Ein hellsehendes Krokodil hat den Absturz der Columbia antizipiert. Wie das?

Es war letzten Samstag, also genau vor einer Woche. Ich lag auf meinem Sofa und dachte mir nichts Besonderes, ein Sofasamstagnachmittag eben, nichts Außergewöhnliches. Neben dem Sofa lag diese Zeitung, also nicht diese Ausgabe, sondern die vom letzten Samstag.

Winken Sie nicht ab, es kommt hier auf jedes Detail an. Gerade wollte ich ein wenig dösen, da ertönte der Ereignisklang „Rasic“ meines Mobiltelefons und kündete vom Empfang einer SMS.

Sie war von Timo.

Timo schrieb: „War’s Allah oder Alien?“

Hä?

Verständnislos legte ich das Mobiltelefon beiseite, griff zur Zeitung und blätterte. Und blätterte. Bei der „Wahrheit“ blieb ich hängen. Beim „Wetter“.

Ich las, was da geschrieben stand. (Lesen Sie jetzt bitte untenstehenden Ausriss.)

Quatsch, Quatsch, Quatsch. Armer Astronaut, dachte ich noch, aber ist ja nur ausgedacht. Ich ließ die Zeitung beiseite rutschen und fiel wieder in ein angenehmes Sofasamstagnachmittagsdösen. Da ertönte wieder der Ereignisklang „Rasic“ und ließ mich hochfahren.

Eine weitere SMS, diesmal eine von Marco: „There goes another Space Shuttle“.

Da schwante mir: Es musste etwas passiert sein. Ich schaltete das TV-Gerät ein und wusste, was Sie auch wissen, weil man der Nachricht nicht entkommen konnte: Das Space-Shuttle „Columbia“ war im Landeanflug auf die Erde auseinander gebrochen, vermutlich schon beim Start beschädigt und auch schon ganz schön alt gewesen. Sieben Astronauten sind bei dem Absturz ums Leben gekommen.

Arme Astronauten.

Moment mal. Was hatte ich da gerade eben noch gelesen? Gebrauchtraketenhändler? KRAWUMM? Wie konnte das sein? Zeitungen entstehen einen Tag vorher, wie jeder weiß. Aber gestern war die Columbia doch noch heil gewesen. Wer hatte diesen prophetischen Text geschrieben? Ich hatte da so eine Ahnung. Gleich am Montag würde ich in die Wahrheit-Redaktion der taz gehen.

Ihr Spitzname ist Lacoste, weil sich diese Krokodilsmarke aus ihrem Vor- und Nachnamen zusammensetzen lässt. Lacoste saß da und tippte. Sie schien mich nicht zu bemerken. Sie ist immer sehr konzentriert, wenn sie arbeitet. Einmal bin ich von hinten an sie herangetreten und habe „Buh“ gesagt. Da ist sie so erschrocken, dass sie beinahe vom Stuhl gefallen wäre.

Über Lacoste erzählt man sich, sie könne Goethes „Faust I“ auswendig rezitieren – aber auf Nachfrage nicht erklären, um was es in dem Stück geht. Andere sagen, Lacoste bestreite hartnäckig die Existenz von „Faust II“, habe Goethe jedoch einmal beim Einkaufen getroffen. Bisher hatte ich nichts davon geglaubt.

Ich wollte sie gerade fragen, ob sie den prophetischen Text über die explodierte alte Rakete geschrieben habe, da fiel mein Blick auf einen ausgeschnittenen Zeitungsartikel, der da auf dem Schreibtisch lag. Unter dem großen Foto eines Krokodils stand die Überschrift: „Ungeheuer sensibel. Krokodile haben einen ‚siebten Sinn‘: Mit Knubbeln am Kiefer spüren sie, wenn eine Antilope am Wasser nippt.“

Ich schwitzte. Ich wollte nicht mehr fragen. Ich wollte nur noch weg. Verstohlen blickte ich zu Lacoste hinüber. Sie hatte aufgehört zu tippen und sah mich direkt an. Verdammt! Hatte sie da nicht Knubbel an ihrem Kiefer? War ich bereits verrückt? Ich brachte kein Wort heraus. Sie schon.

„Ja, ich habe es geschrieben. Wenn es das ist, was du wissen wolltest.“

„Nein. Wollte ich gar nicht. Ich wollte nur sagen: Weißt du noch, als ich damals ‚Buh‘ gesagt habe und du so erschrocken bist? Das tut mir sehr Leid. Möchtest du eine Zigarette? Hier, nimm die ganze Packung.“

Ich warf eine praktisch volle Packung Gauloises Blondes über den Schreibtisch. Es schien mir noch nicht genug zu sein, um das Orakel zu besänftigen.

Lacoste reagierte nicht.

„Willst du sonst noch was. Ich gebe dir noch was. Warte. Irgendwo müsste ich doch noch etwas Süßes haben, willst du?“

Hektisch kramte ich in meinen Taschen.

„Ach, ich glaube, das ist unten, irgendwo unten, ich gehe mal schnell nachsehen, o.k.? Ja?“

Lacoste blickte schon wieder auf ihren Bildschirm und tippte. Im Laufschritt verließ ich die Wahrheit-Redaktion, die Treppe hinunter, ein Stockwerk, zwei, drei, „du hast es aber eilig heute!“, rief mir der Pförtner hinterher, ich reagierte nicht, lief nur, lief immer weiter, hörte erst auf zu laufen, als ich die Bushaltestelle erreicht hatte.

Der Bus kam. Natürlich fuhr er wieder mal nur fünf Stationen weit, so dass ich am Oranienplatz noch mal würde warten müssen. Egal. Nur weg.

Am Oranienplatz war es bitterkalt. Ich klappte den Mantelkragen hoch, da ertönte der Ereignisklang „Rasic“ meines Mobiltelefons.

Eine SMS. Timo.

„Ich prophezeie: Am Samstag fliegt Daniel raus.“

Fragen zu Krokodilen? kolumne@taz.de