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standbildZwischen den Kulturen

„Der Junge aus der Chaâba“ (Sa., 20.45 Uhr, Arte)

Sie wohnen in Wellblechhütten, morgens waten sie durch Dreck und Morast in die Schule. Die Kinder betreten diese jedoch nicht, ohne zuvor ihre Schuhe geputzt zu haben. Im Klassenzimmer ist es dann nicht mehr Allah, der über allem steht, wie die Eltern predigen. Sondern Karl der Große, der mit Feuereifer die Christianisierung betrieb, wie der Lehrer verkündet. Der kleine Omar und viele seiner Klassenkameraden stehen zwischen den Kulturen.

Omar ist in Frankreich geboren und versteht sich zunehmend auch als Franzose. Algerische Kinder haben es hier nicht einfach, das wird in der Verfilmung des autobiographischen Romans „Azouz, der Junge vom Stadtrand“ des französischen Schriftstellers Azouz Begag, der in den 60er-Jahren spielt, deutlich. In der Schule muss er durch gute Noten beweisen, dass er der bessere Franzose ist. Zu Hause ist das Leben durch islamische Riten und extreme Armut geprägt.

Christophe Ruggias Film hat analytische Qualitäten und ist durch seine narrative Anlage spannend. Er thematisiert die Probleme der Immigrantenkinder. Durch den latenten Rassismus eines sonst durchaus wohlwollenden Lehrers und die Abschottung von der französischen Gesellschaft in ihrem Ghetto werden sie immer weiter an den Rand gedrängt. Durch den Rechtsruck, der derzeit durch Europa geistert – insbesondere auch in Frankreich – ist der Film mitnichten ein fernes Sittenbild der 60er-Jahre, sondern von brisanter Aktualität.

Das Leben Omars (Bouzid Negnoug) ist von Durchsetzungsstrategien der besonderen Art geprägt. Er liebt Bücher. Beim Lesen schließt der Held die Augen und stellt sich eine bessere Welt vor. Eine, in der nicht Schläge, Gebrüll, Dreck und Analphabetismus dominieren, wie er es in der Chaâba erlebt. Doch der Film beschränkt sich nicht auf die Charakterisierung des Musterjungen Omar. Da gibt es auch dessen kleine Freunde, denen der Spagat nicht gelingt, zwischen einem scheinbar aufgeklärten Frankreich, in dem unterschwellig der Fremdenhass tobt, und einem fundamentalistischen Grundkonsens, der in den algerischen Familien trotzig dagegengesetzt wird.

GITTA DÜPERTHAL

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