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stadtprotokoll„Ich habe mich oft für die Westdeutschen geschämt“, sagt Tomo Storelli

„Ich bin im Herbst 1998 nach Leipzig gekommen. Damals war im Osten alles in Bewegung und diese Dynamik war in Leipzig besonders spürbar.

Ich wurde mit offenen Armen empfangen. Vielleicht, weil ich nicht hergekommen bin, um den Menschen irgendwelchen Schrott zu verkaufen. Als Künstler habe ich selber von der Hand in den Mund gelebt.

Ich habe mich immer für die Westdeutschen geschämt, die hier einen solchen Reibach gemacht haben. Die entscheidenden Posten in Wirtschaft und Politik wurden mit Leuten aus dem Westen besetzt. Der erste Bürgermeister kam aus Hannover. Die traten alle mit der Attitüde auf: „Wir erklären euch jetzt mal, wie das funktioniert.“

Die Stadt hätte aus sich heraus viel spannender werden können als durch die massiven Eingriffe mit der Kohle westdeutscher Investoren. Kohle verhindert, dass sich zarte Pflänzchen, die für die Entwicklung einer Stadt, für ihre Wahrhaftigkeit, wichtig wären, richtig entfalten können. Das hätte man anders machen und den Menschen die Chance auf eine eigenständige Entwicklung lassen müssen.

Was damals schiefgelaufen ist, zeigt sich heute an Phänomenen wie der AfD. Ich verstehe, dass sich hier Frust aufgebaut hat und dieser Frust braucht einen Kanal, muss irgendwo hin. Das Absurde ist nur, dass die Leute von der AfD mehrheitlich ja auch wieder Wessis sind.

Was ich dagegen nicht nachvollziehen kann, ist, warum hier immer alle sagen: „Wir waren so solidarisch.“ Ich kenne diese Art von „Solidarität“. Mein Vater stammt aus Kroatien und ich habe als kleines Kind noch das Jugoslawien Titos erlebt. Das Haus, das sich meine Eltern damals dort gebaut haben, entstand mit der Hilfe von Freunden und Familie.

Diese Gemeinschaft gab es im Osten auch, aber sie war von außen erzwungen, entstand aus der Not heraus. Heute ist nichts mehr davon übrig.

Als Westdeutscher in Leipzig zu leben, ist letztlich wie eine Urlaubsreise nach Griechenland. Am Ende quatscht man mit den anderen Urlaubern, statt sich mit den Leuten vor Ort anzufreunden.

Ich bin 1971 geboren, in meiner Generation sind die Unterschiede noch sehr präsent. Die Menschen sind hier einfach anders sozialisiert worden. Besonders unter den Älteren gibt es so eine Anspruchshaltung dem Staat gegenüber, die ich nicht teile. Da gibt es dann ein paar Schnittmengen, aber eben nicht unendlich viele.

Ich werde angenommen, bin akzeptiert. Und dennoch bleibe ich immer ein bisschen außen vor.“

Aufgezeichnet von Nadja Mitzkat

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