piwik no script img

Archiv-Artikel

spielplätze (16) Beim Spiel zwischen Politikern, Journalisten und Kellnern steht es 1:1:1

Alle gucken Fußball. Wir auch. Bis zum Ende der WM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Frankreich – Spanien beim SPD-Pressefest im ehemaligen E-Werk.

„Diesmal“, sage ich mit sichtlich genervtem Gesicht der Journalistin neben mir, „diesmal bleibe ich wirklich nur kurz. Ich schaue einfach das Fußballspiel und schreibe was drüber. Dann bin ich weg.“ Die Kollegin nickt und sagt: „Diesmal versuche ich gar nicht erst, müden Smalltalk mit den SPD-Leuten zu betreiben. Obwohl“, sagt sie und lässt ihren Blick über das abendliche Berlin zu unseren Füßen schweifen, „schön ist es ja schon hier.“

Wir sind auf dem Dach des alten E-Werks an der Wilhelmstraße, eines aufwändig sanierten roten Klinkerbaus, rund 40 Meter über Mitte. Wer sich einmal im Kreis dreht, sieht mehr als jeder Besucher der Reichstagskuppel. Regierungsviertel, Fernsehturm, Charité, Potsdamer Platz, alles. Die Berliner SPD lädt die Journaille zum Empfang, das Wetter spielt mit, die Journalisten tun’s auch. Kollegen versichern einander beim Bier, diese Treffen künftig meiden zu wollen. Politische Geheimnisse? Die erfahre hier doch keiner. Wir sind uns einig: Diesmal bleiben wir wirklich nur kurz.

Nur wenige ziehen den Glasbau der frischen Luft vor. Hier drinnen wird die WM-Partie Spanien gegen Frankreich übertragen. Auf einem Fernseher, der so klein ist, dass das Wort „Schikane“ die Runde macht. Nur zaghaft setzen sich Leute in Anzügen auf die fünf Sessel. Vielleicht, weil die Sitzgelegenheiten aussehen wie überdimensionierte Fußbälle. Vielleicht auch, weil sich die Anwesenden zu Herzen nehmen, was der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit kurz zuvor zur Begrüßung gesagt hat: „Heute Abend können wir mal ein bisschen Abstand vom Fußball bekommen.“ Bei aller Freude über die Riesenparty in der Stadt, natürlich.

Und doch enthüllt diese Fernsehübertragung eine Menge über Politiker, Journalisten und das, was ihnen wirklich wichtig ist. Da haben wir zum einen den Teilzeitexoten. Diesen Job übernimmt heute der parlamentarische Geschäftsführer Christian Gaebler. Der schlanke 41-Jährige sitzt von Beginn an nach vorne gebeugt vorm Fernseher. Er trägt ein rotes Spanientrikot. Als der 1:1-Ausgleich für die Franzosen fällt, sitzt er stumm da.

Hinter ihm stehen der Hardliner und die Gefühlige. Den Hardliner gibt Thilo Sarrazin, den Blick stur vom Fernseher abgewandt. Als aus den Riesenfußbällen Jubelschreie dringen, dreht sich der knorrige Finanzsenator nicht einmal um. Den Job der Gefühligen übernimmt Karin Schubert. Als der Ausgleich fällt, kommt sie ins Gespräch mit den Fußballguckern. Doch die Justizsenatorin will nicht wissen, wer getroffen hat. Beide Seiten tauschen sich stattdessen darüber aus, welche nutzlosen Organe sie noch im Körper haben: Mandeln, Blinddarm und einiges andere.

Als die Franzosen in Führung gehen, hat sich draußen ein weit interessanteres Spiel entwickelt. Es heißt „Sich lächerlich machen für Fortgeschrittene“. Einzige Regel: Wer es schafft, gegen eine Glaswand zu laufen, die aussieht wie ein Eingang zum Pavillon, gewinnt einen Punkt. In Führung geht kein Politiker und kein Journalist, sondern eine Kellnerin. Ein Tablett mit leeren Gläsern klirrt, eine kleine Beule am Kopf wächst, nur wenige kichern. Souverän holt eine erfahrene Journalistin eine halbe Stunde später auf. Diesmal klirrt kein Glas, aber mehrere Zuschauer kichern.

Der Pressesprecher der SPD-Fraktion erhöht den Schwierigkeitsgrad, malt mit geliehenem Lippenstift in grellem Rot „Vorsicht, Scheibe!“ aufs Fenster. Doch ein sozialdemokratischer Abgeordneter schafft das Unmögliche. Um 0.40 Uhr steht es zwischen Politikern, Journalisten und Kellnern 1:1:1.

„Das nächste Mal“, sage ich mir, „das nächste Mal bleibe ich wirklich nur kurz. Heute schaue ich noch schnell das Sich-lächerlich-machen-Spiel und schreibe was drüber. Dann bin ich weg.“

MATTHIAS LOHRE

SPD-Pressefest, alljährlich an wechselnden Orten. Fußballübertragung je nach Gelegenheit. Nur mit Einladung