speichenbruch : Drogenschurke oder Opferlamm?
Das italienische Anti-Doping-Gesetz und seine unrühmliche Rolle im Fall des verstorbenen Radprofis Marco Pantani
Das Begräbnis in Cesenatico hätte Marco Pantani gefallen. 30.000 Menschen, die ihn noch einmal als großen Radsportheros ehrten, kein böses Wort über Sportbetrug, Doping und ähnliche Kleinigkeiten, dafür die ausgiebige Stilisierung zum unschuldigen Opfer von Medien und Justiz. Genau das Bild, das der Radprofi, der am letzten Sonntag tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden wurde, von sich selbst gern zeichnete. Das zumindest belegen zahlreiche seiner Äußerungen sowie jene ominösen Sätze, die Pantani angeblich auf einem Flug nach Kuba in seinen Reisepass kritzelte. Kernaussage: „Ich bin kein Betrüger.“
Das Paradoxe: Pantani hat wohl Recht. Natürlich besteht kein Zweifel daran, dass er unerlaubte Mittel benutzte. Er selbst hatte Doping vor Gericht zwar stets dementiert, in anderen Zusammenhängen klang das allerdings anders. „Man tut illegale Dinge, die erst bei Entdeckung illegal werden“, erläuterte er im Jahr 2001 in der Gazzetta dello Sport das Selbstverständnis der Radsportler. Nicht verwinden konnte er, dass ausgerechnet er, Italiens Liebling, am Ende derjenige war, der von Gerichtssaal zu Gerichtssaal geschickt wurde, während all die übrigen, von denen einer wie Pantani natürlich genau wusste, dass sie nicht anders gehandelt hatten, weiterhin munter Etappen, Rennen und Titel gewannen. „Alle wissen, wie es im Radsport zugeht, aber sie haben es nur auf mich abgesehen“, soll er seiner Exfreundin gesagt haben. „Wenn sie dich fertig machen wollen, dann kannst du nichts machen“, klagte er gegenüber Hotelgästen. Natürlich sah sich Pantani nicht als Betrüger, denn wie hätte er Leute betrügen können, die dasselbe taten wie er.
In gewisser Hinsicht ähnelt der Fall Pantani dem von Diego Maradona, der wohl nicht zufällig in Person am Sarg des Radprofis vorbeidefilierte. Ganz abgesehen von beider Kokainsucht, fühlte sich auch der argentinische Fußballer als Opfer, nachdem man ihn in Italien gesperrt hatte. Man habe sich rächen wollen, weil er die Italiener im WM-Halbfinale 1990 aus dem Turnier im eigenen Land gekickt hatte, so Maradonas Überzeugung, eine Behauptung, die einige Jahre später hohe Glaubwürdigkeit erhielt. Da schloss das italienische NOK das nationale Dopinglabor, weil massenhaft positive Proben von Sportlern vernichtet worden waren. Nicht jedoch die von Maradona, welche Kokain enthielt.
Pantani wurde, neben Ungeschick bei der Kontrolle seines Hämatokritwertes, eher seine Popularität zum Verhängnis, die ihn zum idealen Ziel der Strafverfolger machte, nachdem im Jahr 2000 das italienische Antidopinggesetz in Kraft getreten war. Dieses ist das härteste der Welt und bedroht dopende Sportler mit Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren. Eine große Versuchung für ehrgeizige Staatsanwälte, sich medienwirksam in Szene zu setzen, wie sich seither gezeigt hat. Es folgten spektakuläre Razzien mit der Verhaftung prominenter Profis, groß propagierte Anklagen, aufwändige Prozesse. Nur herausgekommen ist herzlich wenig. Die meisten Verfahren wurden eingestellt, weil die Beweise nicht reichten; kam es zu Prozessen, endeten diese mit Freisprüchen oder wurden wegen formaljuristischer Fehler eingestellt. So auch jene mit Pantani oder der von Francesco Conconi, einer Art Doktor Frankenstein des Doping. Da waren die Anklagepunkte verjährt, was jedes Jura-Erstsemester schon am ersten Tag des langwierigen Verfahrens hätte wissen können.
Ganz anders funktioniert das französische Dopinggesetz. Hier orientiert man sich eher an Erkenntnissen, die sich in vielen Ländern inzwischen bei der Problematik der gesellschaftlichen Drogen durchgesetzt haben: Es macht wenig Sinn, die Konsumenten zu bestrafen, wichtiger ist es, die Händler bzw. Hersteller zu erwischen. Natürlich ist Doping nicht nur ein Verstoß gegen Arzneimittelgesetze, sondern auch Sportbetrug und muss als solcher geahndet werden. Dafür gibt es aber die Sportgerichtsbarkeit und die entsprechenden Sperren. Vor Gericht kommen die sündigen Sportler, sofern sie nicht selbst in den Handel mit Dopingmitteln verwickelt sind, in Frankreich relativ glimpflich davon – auch Richard Virenque, französisches Gegenstück zu Pantani. Das Interesse von Ermittlern und Justiz gilt den Dealern, und anders als in Italien gibt es mit schöner Regelmäßigkeit Meldungen über die Zerschlagung von Dopinghändlerringen.
Ob Pantani, wäre er Franzose, heute so fröhlich durch die Lande radeln würde wie der Kollege Virenque, sei angesichts der Persönlichkeitsunterschiede dahingestellt. Ebenso die Beantwortung der Frage, wie viel die Dopingprozesse und die sportliche Misere tatsächlich mit dem Tod Pantanis zu tun hatten, bei dem Selbstmord inzwischen als eher unwahrscheinlich gilt. Für die Diskussion um ein deutsches Antidopinggesetz könnte man die Erkenntnis gewinnen, dass dieses zwar sehr sinnvoll sein kann, wenn es für Ermittlungen sorgt, die es vorher nicht gab; dass man sich aber davor hüten sollte, eine Vorlage für Schauprozesse zu liefern. Dass Deutschland davor keineswegs gefeit ist, hat schließlich die Daum-Affäre gezeigt.
MATTI LIESKE