spd-agenda : Der Kanzler ist wieder zufrieden
Der Sturm im Wasserglas hat sich beruhigt. Allerdings tobt der Orkan draußen weiter, und der Tanker SPD befindet sich nach wie vor in Seenot. Oben auf der Brücke hat sich Gerhard Schröder, der gestern wieder einmal mit Rücktritt drohte, mit seiner Linie durchgesetzt. Der Parteivorstand beschloss den Leitantrag für den bevorstehenden Sonderparteitag mit einer so großen Mehrheit, dass der Kanzler sich zufrieden zeigte und nun freundlicherweise – zunächst – zum Weiterregieren bereit ist.
Kommentar von BETTINA GAUS
Der Rest ist Routine. Der Parteitag wird die Linie der Regierung stützen, und das Mitgliederbegehren der Aufständischen ist ohnehin nie auf Touren gekommen. Da kann die Linke noch froh sein, dass ein paar kosmetische Korrekturen es ihr erlauben, das Gesicht einigermaßen zu wahren. Zu denen gehört, dass die SPD nun doch, falls möglich, auch den Vermögenden etwas mehr wegnehmen möchte als ursprünglich geplant. Da derzeit bekanntlich jeder Euro gebraucht wird, dürfte diese Entscheidung inzwischen allen Beteiligten leicht fallen.
Kanzler spricht. Rebellen rebellieren. Kanzler droht. Rebellen rebellieren nicht mehr. Dieses Szenario ist mittlerweile so vertraut, dass es nur noch langweilt. Dabei gibt es zur Langeweile keinen Anlass: Die gestrige Vorentscheidung bedeutet nicht weniger als den endgültigen Abschied vom bisherigen System der sozialen Sicherung. Die großen Lebensrisiken werden eines nach dem anderen privatisiert: In der letzten Legislaturperiode war es die Rente, jetzt ist es die Krankheit. Das gilt allerdings nur für diejenigen, die ohnehin am meisten Grund zur Angst vor dem sozialen Absturz haben – die lohnabhängig Beschäftigten.
Das ist besonders dramatisch für die Bevölkerung in Ostdeutschland. Anders als im Westen konnte dort nämlich in den fetten Jahren der Bundesrepublik kein Vermögen gebildet werden, und es gibt dort auch nur wenige, die von ihren Eltern etwas vererbt bekamen. Die Linie der Bundesregierung verschärft deshalb die Kluft zwischen Ost und West weiter. Ist das gewollt?
Die Opposition hat Recht: Es ist noch kein wirtschaftspolitisches Konzept, die Bevölkerung in immer stärkerem Maße zur Kasse zu bitten. Die Union hat zwar auch keines, aber das macht die Sache ja nicht besser. Sie mag sich jetzt darüber freuen, dass die SPD abzusaufen droht, weil ihr die Anhänger weglaufen. Aber wenn die CDU auf der Brücke stünde, hätte sie schnell dasselbe Problem. Die politische Klasse – ratlos.