sommerschlussverkauf: der erste tag : Touristen ziehen wie gewohnt durch die Läden der Stadt – doch der gemeine Shopper macht sich rar
„Ick sach ma so: Ohne Moos nix los“
Vielleicht lag es am Wetter. Die strahlende Sonne der letzten Tage versteckte sich gestern Vormittag hinter Wolken. Vielleicht lag es aber auch an den leeren Geldbeuteln der Berliner. Am ersten Tag des diesjährigen Sommerschlussverkaufs ist auf der Friedrichstraße kaum ein Einheimischer zu sehen. Junge Italiener ziehen in Grüppchen durchs Lafayette und begegnen dabei vor allem anderen Italienern. Und britischen Rentnern. Und französischen Schulklassen.
Den Berliner Schnäppchenjäger aber sucht man mittags um zwölf vergebens. Moment, da, vor der Kasse. Eine junge Berlinerin auf Shopping-Tour. Sommerschlussverkauf? „Hmm. Interessiert mich nicht so. Bin wegen einer Bewerbung hier. Ich habe weder genug Geld noch ausreichend Zeit, um groß einkaufen zu gehen“, sagt Sophia Müller aus Kreuzberg. Nun gehört das Lafayette sicher nicht zu den bevorzugten Einkaufsstätten des durchschnittlichen Berliners. Besser frequentiert sollte Strauss Innovation sein.
Die 25-jährige Johanna Kolbe beispielsweise ist „definitiv wegen dem Sommerschluss hier“. In den Fenstern wird mit riesigen Prozentzeichen geworben. Dass man das ganze Jahr über Preisnachlass erstreiten kann, nützt ihr wenig. „Handeln ist mir unangenehm.“ Damit ist sie nicht allein. Auch Marlies Fischbach, 65, findet „Feilschen noch zu unüblich“. Obwohl gerade sie dann deutlich ausgewiesene Sonderangebote zu schätzen wissen müsste, interessiert sie „der Sommerschlussverkauf herzlich wenig“. Besser gewappnet gibt sich Sandra aus Hellersdorf. Die 15-Jährige ist sich bewusst, „dass man das ganze Jahr über Preisnachlass verlangen kann“. Im Selbstversuch hat sie aber festgestellt, „dass die in den großen Häusern nicht drauf eingehen“. Sie wirkt deswegen ein klein wenig verärgert.
Ganz andere Sorgen hat Manfred Benkenstein. Das Thema Sommerschlussverkauf gehörte bis gestern jedenfalls nicht dazu. „Sommerschluss? Weeß ick nich. Is mir egal“, entgegnet der Prenzelberger. Grübelnd steht er auf dem Alexanderplatz und starrt den Kaufhof an. Nach einer längeren Pause sammelt er sich und fasst zusammen: „Ick sach ma so: Ohne Moos nix los.“ Das leuchtet ein.
Auch Mike hat scheint’s wenig Moos. Der höchstens 16-Jährige heißt sicher nicht Mike. Wie auch immer, er diktiert selbstbewusst, am besten sei es, ihn „Mike aus Neukölln“ zu nennen. Das hat einen nachvollziehbaren Grund. Denn Mike hat nicht nur wenig Geld, sondern auch wenig Skrupel: „Um ehrlich zu sein – ich wollte eigentlich das Gedränge nutzen, um einfach so was mitzunehmen. Aber heute ist es zu leer.“ Gelegenheit macht Diebe. Der Sommerschlussverkauf scheint keine Gelegenheit zu sein. Er werde noch mal bei Wertheim vorbeischauen, teilt Mike erstaunlich freimütig mit. Dann verlässt er das Kaufhaus recht schnell.
Bei Wertheim war auch Silvio. Der junge Mann wohnt in Mitte, und das Einkaufen während des Sommerschlussverkaufs ist bei ihm „ein Ritual“. Ohne rot zu werden, teilt er mit, dass er „vorher immer gucken“ gehe. Am Freitag sei er zu diesem Zweck in die Schlossstraße gefahren. Die Schlossstraße in Steglitz. Aus Mitte. Um dann gestern „Punkt 9 Uhr“ drei T-Shirts „zum Preis von einem“ zu erwerben. Hauptsache, Silvio ist glücklich.
HANNES HEINE