schwarze taz: Die Genreexperimente des Carlo Lucarelli
Kampfhund mit Biss
Die einzige unerfreuliche Begleiterscheinung des neuen Krimibooms ist der stilistische Konservatismus. Grundsätzlich wird linear erzählt, bestenfalls wird zur Auflockerung mit Ironie gearbeitet. Ansonsten ist das Genre, dessen Autoren sich gern provokant geben, recht bieder. Das gefällt den Lesern, die sich nicht anstrengen müssen, und den Kritikern, die experimentierfreudigen Autoren gern Größenwahn vorwerfen.
Einer der wenigen kühnen Erzähler ist der Italiener Carlo Lucarelli, der es sehr klug anfängt: Konservative Leser bedient er mit seiner Ende der 40er-Jahre spielenden Serie um den zwielichtigen Commissario De Luca, und ansonsten gönnt er sich zeitgemäße Romane. Nach „Der grüne Leguan“ und „Schutzengel“ erschien nun „Der Kampfhund“: vordergründig ein Thriller über die Jagd nach einem Profikiller der Mafia, tatsächlich aber eine Collage aus Bildern, Monologen, dialogischen Szenen, Aktionen, Assoziationen, Abschweifungen, die nicht direkt mit dem Kriminalfall verbunden sind.
Hauptfigur ist die schon aus dem „Leguan“ bekannte Inspektorin Grazia Negro aus Bologna, die mit zwei Kollegen nach untergetauchten Kriminellen fahndet. Grazia ist gut in ihrem Job, aber noch besser ist Vittorio, der seit frühester Jugend bereits 57 Auftragsmorde durchgeführt hat und neuerdings am Tatort seine Unterschrift in Form eines Kampfhundbildes hinterlässt. Hinzu kommt Alessandro, ein naiver Computerexperte, der versehentlich den Chat zwischen dem Killer und seinem Auftraggeber im Internet mitverfolgt und mit einer Kollegin in Lebensgefahr gerät. Das alles ist Standard. Interessant ist, wie Lucarelli den Handlungsfaden abspult, nämlich mit Knoten, Schleifen, toten Enden, Verhedderungen und Zerfaserungen versehen.
Dass gelegentlich Banalitäten wie Betrachtungen über das Fahren auf der Autobahn, ein Schwangerschaftstest, Gedanken über verflossene Liebschaften oder über die Stille kurz vor dem Tod als Stolpersteine quer in der Kapitelabfolge liegen, hat Methode und fügt sich langsam sinnreich zusammen. Auch die verschiedenartigen Erzählperspektiven sind keine Spielerei, sondern dokumentieren die Relativität von persönlicher Wahrnehmung, die Fragwürdigkeit von Empfindungen, die Banalität von auf Zufällen basierender Sinnstiftung – alles Themen für einen Kriminalroman, geht es in ihm doch um Beobachten, Erkennen, Handeln.
Mag sein, dass Lucarelli manchmal über das Ziel hinausschießt. Besonders zu Anfang des Buchs macht er es dem Leser schwer zu begreifen, worum es eigentlich geht. Aber uns eine solche Anstrengung abzuverlangen ist legitim bei einer Geschichte, in der ein Killer die Hauptrolle spielt, der kein Gesicht, kaum einen Charakter, aber tausend wechselnde Identitäten hat. Am Schluss wissen wir alles über den Kampfhund, seine Opfer, die Polizistin, die ihn zur Strecke bringen will, obwohl Lucarelli uns nur Bruchstücke zum Bearbeiten hingeworfen hat. ROBERT BRACK
Carlo Lucarelli: „Der Kampfhund“. Aus dem Italienischen von Peter Kloess. Dumont, Köln 2002, 301 Seiten, 17,90 €
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