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Archiv-Artikel

schurians runde welten Asterix bei den Goten

„Ich habe mein Schweigen ja erst gebrochen, als Lügen als Fakten verkauft wurden.“

(Gerhard Mayer-Vorfelder)

Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich es verstanden habe: Deutscher Fußball ist nichts als ein Spiel um Macht, ums Ruder, den Lotsen – der älteste Nationalmythos. 48. Spielminute, Deutschland gegen Tschechien, Spielstand unentschieden. Plötzlich: „Was wird aus Rudi?“ Halbfinale, Niederlande-Portugal, 35. Spielminute, wieder diese Frage: „Oh je, was wird jetzt aus Advokaat?“. Die Sorge um den Trainerarbeitsplatz, die Reporter Reinhold Beckmann ahnungsvoll in sein Mikrofon stöhnt, ist nichts weiter als die Lust an der Intrige, am allerersten Abgesang, am Absägen, dem eigentlichen Volkssport der Deutschen. Es ist nur Zufall, dass dazu Fußball gespielt wird. Arschkriecher müssen immer wissen, wem sie gehorchen müssen und wem nicht mehr. Rudelbildung.

Beckmann ist das Paradebeispiel. Der Mobber unter den Reportern mustert die Spieler wie ein Spieß und sieht das Spiel als Personalchef. Wie er seine Produktionsfirma führt, möchte man nicht wissen! In demütigeren Zeiten erlaubte sich der Kommentator allenfalls die Halbzeitanalyse, Beckmann bewertet jede Minute – Fußball mit ihm ist wie ein Kinobesuch mit einem geifernden Vorsager. Fast wünscht man sich die unschuldigere Ahnungslosigkeit von Heribert Fassbender zurück.

Nach Beckmann wird die Sache nicht besser. Der heimische Chefsachenfußball bleibt in mächtigen Händen. In denen von Fußballbesitzer und Obermotz Günter Netzer, der einen frösteln lässt, wenn er sagt: „Das ist nicht mehr mein Edgar Davids“. Was ist schon Silvio Berlusconi gegen den eitlen Spielmacher und Sportrechtehändler? Aus der ARD hat Netzer seinen Teleshoppingkanal gemacht. Das Franz Beckenbauer, Teilhaber der Weltmeisterschaft 2006, im zweiten Kanal verkauft, ist freie Marktwirtschaft, nicht Meinungsfreiheit. Von fehlenden Häuptlingen und vielen Indianern tönen sie beide und fallen über jene her, die das Spiel nicht „an sich reißen“. Vielleicht ging Rudi Völler auch deshalb, weil er zu wenig Aktien im Spiel hat, zu wenig Machtbewusstsein?

Jedenfalls weniger als Gerhard Mayer-Vorfelder – wer dem DFB-Präsidenten schon mal begegnen musste, weiß, sein Rückgrat ist ein Schulterpolster. Er ist Politiker, nicht Fußballpräsident, bricht den Stab über die Auswahlelf, wenn nur die Trainersuche Chefsache bleibt.

Schwacher Trost: Das beste Telefonat des Fußballsommers. MV zu Hitzfeld: „Ottmar, du musst das machen!“ – Hitzfeld:“Wenn du gehst!“ Asterix bei den Goten.

7.7. RWE – St. Pauli

Bad Zwischenahn will sich für die Weltmeisterschaft qualifizieren. Nein, leider ist das kein antideutscher Reflex auf Herrenfußball. Der Kurort im Oldenburgischen will sich bloß als Trainingsquartier für 2006 hervor tun. Deshalb gibt‘ s den Hüppe-Nordwest-Cup, an dem der Wuppertaler SV und Rot-Weiß-Essen teilnehmen. Beim Zweitligisten von der Hafenstraße ist derzeit erfreulich wenig Gotisches zu beobachten. Sie treffen am Dienstag auf St. Pauli.

Beim Wuppertaler SV hingegen lacht die Volksseele. Trainer Georg Kreß hat sich krank gemeldet. In Abwesenheit hetzt der bergische Vereinsvorstand gegen den Fastaufstiegs-Trainer. Verbreitet Gerüchte über ihn, Kreß versuche sich abzusetzen, setzt auf die giftende Presse. Auch hier gilt: Fußball ist ein Machtspiel. CHRISTOPH SCHURIAN