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Archiv-Artikel

schurians runde welten Gelsenkirchener Gemütskrach

CHRISTOPH SCHURIAN, 40, ist Redaktionsleiter der taz nrw und im leisen Kampf gegen akustische Zumutungen im Stadion

„Da gab es keinen Grund zu pfeifen.“ (Joachim Löw)

Selig schwärmte Hamit Altintop von seinem Hahahaheimspiel in den Katakomben. Mit zwei Freistößen hatte er den Weg ins Tor der Norweger gefunden. Allein drehte er das Spiel zu einem glücklichen Unentschieden für die Türkei. Aber leider waren nur Fernsehleute, Spieler und Betreuer dabei, als Altintop im menschenleeren Frankfurter Stadion mal wieder groß auftrumpfte. Andererseits, es musste so sein. Denn der zappelige, aber pfeilschnelle, schussstarke und eigentlich spielintelligente Gelsenkirchener hat ein Riesenproblem und das heißt Schalke-Arena und ist laut königsblauem Videowürfel bis zu 130 Dezibel laut.

Oft werden die Verantwortlichen des FC Schalke zu ihrem tollen Klotz im Berger Feld beglückwünscht. Die ganze Stadt freut sich an ihrem Aushängeschild mit Ausziehrasen und Regendach, Joseph Blatter nannte es das modernste Stadion. Auf jeden Fall ist das Steinglas-Getüm eines der Lautesten. Die Schalke-Arena hört sich an wie ein Düsenflugzeug aus 300 Metern, wie im Testraum für Hörschutz geht der Geräuschpegel auch mal über die Schmerzgrenze. Akustisch darf man den Bauherren um Alt-Manager Rudi Assauer kein Kompliment machen – die Schalldruckspitzen zerstören Fußball.

Ein Mannschaftskamerad erzählte mir neulich, bei unserem Freizeitligagegner habe lange ein taubstummer Keeper im Tor gestanden. Ich habe das nicht bemerkt, ihm wird es vermutlich egal gewesen sein. In der Arena auf Schalke wäre es ein großer Vorteil. Was würden die Gebrüder Altintop dafür geben?

Geräusche verändern Fußball, das ist klar. Doch während Fangesang, Torjubel oder Hupen nur für Stimmung sorgen, entscheidet der Aufschrei, Zornbrüller, Aufstöhner über Spielerkarrieren und Meisterschaften. Und auf Schalke wird Proto-Grammatik, Gemütskrach, Ursprache brutal verstärkt, ein Hort der kleinen Dinge.

Verspringt hier ein Ball an die Hand, rufen sie Hand, was sich anhört wie ein kollektiver Würgreflex. Das lang gezogene Foul klingt wie ein Händetrockner – sensible Spieler müssen sich erschrecken.

Am schlimmsten sind die endlosen Sekunden eines Konterangriffs bis zum Pass. Dann atmen die Leute röhrend, saugen die Luft durch ihre Stimmbänder und natürlich geht der Pass daneben. Ist er doch auf dem Weg vor die Füße eines anderen Akteurs, sollte der taub sein. Oder gar nicht mehr draufhalten.

Ohne Gemeinheit: Auf Schalke klingt Fußball hysterisch wie Handball. Es ist nicht mehr allein die königsblaue Tragödie um verblasste Titel, Skandale, Freitod, die die Menschen so anfasst, es ist der Schalker Schalldruck. CHRISTOPH SCHURIAN