schnittplatz : Das offene Rohr
Über tausend Nächte. Über siebentausend Gespräche. So genau weiß man das beim WDR auch nicht – egal, es legt sich der weite, geheimnisvolle Mantel der Nacht drüber. Nicht etwa jener des Schweigens.
Morgen, also ausgerechnet am Domian-freien Samstag spricht Jürgen Domian, Jahrgang 1958, schon auf den Tag genau fünf Jahre lang mit seinen Hörern und Zusehern, werktags zwischen ein und zwei Uhr nachts, verfolgt allein im Fernsehen von mehr als 120.000 Menschen. Soweit die Fakten. Fünf Jahre Domian, fünf lange, einsame Jahre, schlaflos, fünf Jahre nachts vor dem Fernseher, und im Fernseher sitzt Domian – da sind aber auch viele Fragen offen geblieben. Nicht erfasst ist, in welchem Maße die Geschichten der Anrufer im Laufe der Zeit, mit Anwachsen der Popularität Domians, bizarrer geworden sind, erschreckender.
Manche Nacht hat man den Eindruck, es sollte schon mindestens ein doppelter Inzest sein, will man an Domians verständnisvolles Ohr dringen. Nicht erfasst ist, wie viele der Anrufer „Domian“ für einen Vornamen halten. Hartnäckig und noch immer. Unbekannt ist, ob solche absichtlich durchgestellt werden: seht her, hier wird nichts geschoben. Weiterhin unbekannt ist, ob Jürgen Domian in der kleinen Pause, die er sich zwischen zwei Anruferblocks gönnt, immer aus derselben Plastikflasche trinkt. Oder was Jürgen Domian tut, wenn er dann kurz nicht im Bild zu sehen ist. Geht er dann mal kurz ... telefonieren? Was macht er mit seiner alten Mütze, wenn er sich mal eine neue kauft? Bestimmt versteigert er sie zu Gunsten einer Aids-Stiftung. Warum nur ist dieser Jürgen Domian so beliebt, dieser Mensch aus purem Herz?
Er will nur helfen. Die Menschen lieben ihn dafür: „Deine Themen sind immer ‚EINS-A‘“, schreibt ein Fan. Und weiter: „Suche auf diesem Wege eine harmonische Beziehung (w), die ebenso wie ich, m, 37, 190, Spaß am gemeinsamen Ausleben sämtlicher Phantasien hat.“ Soll heißen: Domian, hilf, dass ich nachts nicht mehr Domian gucken muss. KUZ
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