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schnaps und schnee von RALF SOTSCHECK

Was dem einen sein Schnee, ist dem anderen sein Schnaps. Die Isländer kennen viele Worte für Schnee, die Irländer kennen noch mehr für ihren Lieblingszustand: jarred, plastered, pissed, poleaxed, well on it, merry, mouldy und viele andere. Sie alle beschreiben euphemistisch unterschiedliche Grade des Betrunkenseins, und um in diese Verfassung zu geraten, nehmen sie einiges in Kauf.

Am Karfreitag zum Beispiel. Das ist neben Weihnachten der einzige Tag im Jahr, an dem die Kneipen geschlossen sind. Ausnahmen gibt es lediglich für Reisende, denen gegen Vorlage einer Fahrkarte in der Bahnhofswirtschaft Getränke ihrer Wahl serviert werden. So machte die irische Bahn an dem Tag einen hübschen Umsatz, ohne dass sie eine Gegenleistung erbringen musste, denn die Trinker fuhren ins Delirium und sonst nirgendwohin.

Die Kopfschmerzen wegen der täglichen Gelage hat jedoch die Regierung, denn die irische Zuneigung zum Akohol ist keineswegs ein Klischee, sondern statistisch zu belegen. Während in den anderen Ländern der EU der Alkoholkonsum in den vergangenen zehn Jahren zurückgegangen ist, hat er in Irland um 41 Prozent zugenommen. Irlands Minderjährige liegen in der Trinktabelle ebenfalls vorne: Ein Viertel der 15- bis 16-Jährigen ist mindestens dreimal im Monat knülle. Die Sauferei hat in den Städten zu einem erheblichen Anstieg der Gewalt geführt.

Am Wochenende kommt es regelmäßig zu Keilereien, die Fernsehübertragung der Zusammenschnitte aus den Überwachungskameras stellt jeden „Rambo“-Film in den Schatten. Möglicherweise hat deshalb der Staatsfunk RTE die neue Initiative der Regierung gesponsert. Demnächst sollen die Zentren von 17 Städten lückenlos mit Kameras überwacht werden. Die Geräte kosten acht Millionen Euro, hinzu kommt eine Million jeden Monat für Personalkosten. Aber das wird sich lohnen, kann man mit dem Bildmaterial doch Familienserien gestalten: Für jeden Nachbarn, den man bei der Fensehschlägerei identifiziert, gibt es 100 Euro, die zünftigste Prügelei wird von der Getränkeindustrie mit Freibier belohnt.

Der Verbandsvorsitzende der Getränkeindustrie, Pat Barry, will das nicht: „Wir mögen öffentliche Trunkenheit nicht. Das nützt niemandem.“ Aber Alkoholwerbung im Fernsehen will er auch nicht verbieten lassen: „Dann würde man Alkohol ja mit Zigaretten auf eine Stufe stellen.“ Die Alkoholindustrie hat ein Ausbildungsprogramm ins Leben gerufen, bei dem Barleuten „die korrekte Vorgehensweise“ beigebracht wird, wie sie Volltrunkenen das nächste Getränk verweigern. Wie wäre es mit „nein“?

Die nationale Alkoholpolitikberaterin namens Dr. Ann Hope hält von der ganzen Alkoholerziehung nichts. Sie sei nicht effektiv, meint Doktor Hoffnung, das Einzige, was wirke, sei Prohibition. Das hört man in Sellafield auf der anderen Seite der Irischen See gern. Die britische Atomanlage beschwert sich regelmäßig über Umweltverschmutzung, wenn an den Wochenenden das Erbrochene aus Dublins minderjährigen Mägen ans britische Ufer gespült wird.

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