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salt and pepperDas neue Buch Mormon

Und es war ein Jammern

Und es begab sich: Es wurde Winter im Land Utah, und, ja, es kamen viele junge Leute mit kräftigen Waden und baumstammdicken Armen. Und siehe, sie führten Schlitten mit sich und trugen Bretter unter den Füßen. Und sie liefen auf scharf geschliffenen Kufen und, ja, sie schoben sogar polierte Steine aus Granit vor sich her, Stunde um Stunde, Tag um Tag, und, ja, die ganze Welt sah ihnen dabei zu.

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Und es begab sich: Die Welt war schlecht, und böse Menschen lauerten allenthalben, die dem winterlichen Fest schaden wollten, ja. Doch siehe, sie trauten sich nicht, ins Land Utah zu kommen und es zu überfallen, weil überall uniformierte Menschen standen mit Waffen und komischen Gerätschaften, die unablässig piepten. Und es begab sich, dass sie den Leuten in den Taschen wühlten. Und am Himmel kreisten Hubschrauber, und es war ein Piepen und Brummen, ja, und ein gewaltiges Schlangestehen hob an. Doch siehe, alles war wohlgetan.

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Und es begab sich: Die schnellsten und geschicktesten der jungen Leute erhielten Medaillen, die waren golden, silbern oder bronzen, ja. Siehe: Nicht alle erhielten Medaillen und einige sogar die falschen. Und siehe: Ees hob ein Wehklagen an im ganzen Land Utah und darüber hinaus. Und es begab sich, dass die Herren und Meister der jungen Leute das Wehklagen nicht mehr hören konnten. Und, ja, sie gaben jedem die Medaille, die er wünschte. Siehe: Es wurde nur noch schlimmer. Und dann war da ein Zetern. Und es war ein Jammern. Und es war ein Zürnen. Und es war ein Toben, ja.

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Und es begab sich: Halbwüchsige Leute tauchten auf mit bunten Brettern und schlechten Manieren, und sie wirbelten hoch in die Luft und wieder hinunter, ja. Doch siehe, weil sie aus dem Lande kamen, zu dem das Land Utah gehört, verzieh man ihnen die schlechten Manieren und gab ihnen viele Medaillen.

Und es begab sich nun, dass noch mehr aus diesem Land kamen, mit besseren Manieren. Und sie bekamen alle Medaillen, ja, mehr, als sie je gesehen hatten. Und sie waren die schnellsten auf dem Eis, ja, und sie sprangen am höchsten auf dem Eis, ja, und siehe, sie fuhren sogar auf winzigen Brettern kopfüber den Berg hinunter und, ja, sie waren auch da die Schnellsten.

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Siehe, es war ein Frohlocken im ganzen Land, ja, und ein Freudengebrüll. Und alle waren glücklich und feierten die halbe Nacht, mit schriller Musik und geistigen Getränken, ja. Und das war weniger wohlgetan, aber, naja, okay, ja.

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Und nun begab es sich, dass da auch kräftige Frauen waren, die in einem Bob saßen, ja. Doch siehe, niemand wusste, wer in welchen Bob gehörte. Und es begab sich, dass Bonnie Warner mit Vonetta Flowers fuhr und Jean Racine mit Jen Davidson und Jill Bakken mit Shauna Rohbock, ja. Doch nun begab es sich, dass Bonnie Warner nicht mehr mit Vonetta Flowers fahren wollte, und sie fuhr mit Gea Richardson, aber Jean Racine wollte nicht mehr mit Jen Davidson fahren, und nun fuhr sie mit Gea Richardson. Und Bonnie Warner guckte in die Röhre. Und es begab sich, dass Bonnie Warner nicht mitdurfte ins Land Utah zu dem Fest, ja. Siehe, Jill Bakken fuhr nun mit Vonetta Flowers, aber Gea Richardson machte zwei Tage vor dem großen Tag schlapp. Und Jean Racine, ja, wollte mit Vonetta Flowers fahren. Aber siehe, Vonetta Flowers sagte nein und fuhr mit Jill Bakken und gewann und war schwarz. Und Jean Racine fuhr mit Gea Richardson und verlor, ja. Und alles war wohlgetan.

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Und siehe, es kamen auch Leute von weither, die waren schwarzrotgold. Und sie konnten gut schießen und gut rennen und gut springen und gut Schlitten fahren und nicht so gut Eishockey spielen, aber es ging, ja. Und es begab sich, dass sie überall, wo geschossen, gerannt, gesprungen und Schlitten gefahren wurde, in Scharen auftauchten und Medaillen bekamen, mehr, als sie tragen konnten. Da waren sie sehr froh und fühlten sich sehr stark, ja.

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Und es begab sich: Sie hatten auch viele ältere Herren dabei, die nicht fuhren und nicht sprangen und nicht liefen und nicht Schlitten fuhren, aber trotzdem so taten, als hätten sie selbst die ganzen Medaillen gewonnen, ja. Und siehe, es kamen Leute mit großen Kameras. Und siehe, auch sie waren überall in Scharen. Und sie folgten den jungen Leuten auf Schritt und Tritt und redeten auf sie ein, ja, Tag und Nacht. Aber siehe, auch sie taten, als hätten sie die ganzen Medaillen gewonnen.

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Nun war da einer, siehe, der hieß Apolo, und wenn er kam, fielen alle anderen um, ja, und manchmal auch er selbst. Und es begab sich, dass da einer war, der hieß Juanito, ja. Und der hatte Weihwasser in den Adern. Und stapfte durch den Schnee mit Riesensätzen. Siehe, keiner konnte ihm folgen. Und sein König, ja, der freute sich.

Und es begab sich: Da war einer, der Ole-Einar hieß. Und eine, die hieß Janica. Und einer aus einem Land mit vielen Bergen, der hieß Simon und flog und flog und flog, ja. Siehe, sie alle bekamen viele Medaillen, die gülden glänzten.

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Und es begab sich: Manche waren auch traurig, weil sie nicht so viele Medaille bekamen, ja. O ihr Steinschmeißer aus dem Land Kanada, o ihr Scheibenschießer aus dem Land Russland, o ihr Bergrunterfahrer aus dem Land Austria, euch sage ich: vielleicht beim nächsten Mal, ja.

Denn siehe: In vier Jahren, im Lande Italien, geht das ganze Theater von vorne los. Amen.

MATTI LIESKE

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