remember, remember, elfter september von WIGLAF DROSTE:
Groß ist das Bedürfnis nach Massenhysterie, nach kollektivem Schluchzen. Das Eintauchen in den ganz großen, weltumspannenden Tränenbottich wird als wohltuend empfunden; große Teile der Menschheit stippen und dippen sich selbst ins Rührsoßenschälchen und verputzen sich auf einen Happs; der Geist entschwindet, das Geheule bleibt. Nicht dass noch nennenswert Verstand in Umlauf wäre, aber das bisschen stört, das muss auch noch weg.
Kein Problem: Medienvielfalt bedeutet, dass einem Kitsch und Flennsuserei auf allen Kanälen und in allen Zeitungen um Augen und Ohren gedroschen werden. Die Gehirnwäsche ist aggressiv, und sie macht aggressiv; die kollektive Simulation von Trauer mündet rasch in das eigentliche Ziel der Übung: die Zurichtung des Kollektivs zur kriegerischen Meute. Und wo Meute ist, da ist Journalismus.
Es schlägt die Stunde der aggressiven Mitläufer und Streber; wo es auschließlich noch um gleichgeschaltete Ausgüsse angeblicher Gefühle geht, ist der Sinn für das Peinliche so abgestumpft, wie Gehör und Sprachempfinden es sind. So geht auch die schäbigste Ranschmeißerei noch in Druck oder in den Äther. Peter Kloeppel von RTL wird zum 11. September interviewt. Der Dackelblicker legt sich richtig ins Zeug und kommt dabei ins Tüddern: „Ich muss immer noch tief durchschlucken, wenn ich daran denke.“ Tief durchschlucken ist richtig schön – da wollte einer der Betroffnungsvollste von allen sein, und dann war es doch nur Deep Throat Kloeppel.
Wie leicht wohlfeiler Konformismus aufs Terrain des unfreiwillig Ulkigen gerät, bewies der stellvertretende Chefredakteur des Berliner Stadtmagazins Tip, der unter dem Pseudonym Qpferdach schreibt, bereits in einem Editorial vom 27. 11. 2001: „Bastarde sind die Terroristen, die das La Belle in die Luft sprengten und in diesen Tagen nach 15 Jahren ihr Urteil erwarten. Der Bombe damals bin ich als regelmäßiger Besucher dieser Disco, in der gute amerikanische Musik gespielt wurde, nur knapp entgangen, weil ich nicht dort war, sondern zufällig an dem Wochenende in Westdeutschland weilte.“ Das muss man noch einmal nachschmecken: „der Bombe … nur knapp entgangen, weil ich nicht dort war“ – der Autor hat in dem knappen Jahr, seitdem er diesen Gargel öffentlich machte, nicht durchblicken lassen, er habe da in Panik oder Rage Blech & Blödsinn zusammengedusselt und zur Belohnung dafür kräftig die Hühner lachen hören. Er meint das ernst. Ja, wie vielen Katastrophen entgingen wir nur äußerst knapp, auf Leben und Tod quasi, nur weil wir nicht dabei waren! Und welche Opferrollen erst versäumten wir millimeterscharf, weil wir noch gar nicht geboren waren! Es ist alles eine Frage des Hysterisierungsgrades.
Das eine Fernsehvolk der einen ersten Welt sammelt sich unter einer Fahne. Die riecht nicht gut – nach Leichen, die, im Gegensatz zu den kostbaren New Yorker Heldenresten, allerdings nicht einzeln erwähnt oder bestattet werden. Nur US-Patrioten werden erster Klasse tiefergelegt. Wo Helden gestrickt werden, liegen die Leichensäcke schon bereit.
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