reformdebatte : Die Fifty-fifty- Republik
Kinder kennen die Formel, die man anwendet, wenn alles möglichst gerecht aussehen soll: „Okay, machen wir fifty-fifty!“ Fifty-fifty, so steht annähernd das Stimmungsbarometer für die Sozialreformen. In einer Umfrage befürworteten 51 Prozent der Befragten den Kurs der rot-grünen Bundesregierung, weniger als die Hälfte lehnte ihn ab. Die öffentliche Meinung ist somit geteilt. Wer sich allerdings die vergangenen Wochen anschaut, dem fällt auf, dass sich die Parameter für „gerecht“ und „ungerecht“ dabei allmählich verschieben.
KOMMENTAR VON BARBARA DRIBBUSCH
Längst geht der Streit auch linker Politiker nicht mehr in erster Linie um die Kürzungen von Leistungen, sondern um die Erhöhung von Beiträgen. RuheständlerInnen müssen jetzt den vollen Beitrag für die Krankenkasse auf ihre Betriebsrente entrichten. Der nordrhein-westfälische SPD-Sozialminister Harald Schartau und viele Gewerkschafter kritisierten diese Entwicklung. Höhere Abgaben sind schlecht und treffen die Falschen: Das ist eine relativ neue Sichtweise der Sozialdemokraten.
Eine Ahnung von dieser Entwicklung konnte man schon vor einigen Wochen bekommen, als der Deutsche Gewerkschaftsbund plötzlich doch dagegen war, Beamte zwangsweise in eine künftige Bürgerversicherung einzugliedern, wo sie höhere Abgaben leisten müssten. Man wolle die Beamten nicht vergrätzen, hieß es dazu von Gewerkschaftsseite.
Jede Politik, die auf die Zustimmung großer Bevölkerungsgruppen aus ist, wird in klammen Zeiten immer dazu tendieren, die Interessen der Mehrheit, nämlich der Beitragszahler, zu vertreten. Diese Verschiebung der Perspektive hat Folgen. Zunächst beginnt der öffentliche Streit sich vor allem darum zu drehen, wer denn nun schon genug belastet ist und wen man noch etwas stärker bepacken könnte. Und dann fallen jene, die vor allem Leistungen empfangen, allmählich heraus aus dem politischen Diskurs. Sie geraten in ein gesellschaftliches Niemandsland, so wie jene Sozialhilfeempfänger, die nicht mehr zum Arzt gehen, weil sie die 10 Euro in bar eben einfach nicht übrig haben.
Manche Arztpraxen verzeichnen einen Schwund von 20 bis 30 Prozent ihrer Patienten – es wird eine interessante Aufgabe sein, zu klären, wer denn da warum nicht mehr kommt. Mindestens genauso spannend wie das nächste Stimmungsbarometer zur rot-grünen Sozialpolitik.
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