ratzefummel, dosen, joghurtdeckel etc.: Dufte Hobbyausstellung in der Gropiusstadt
SAMMELN UND SAMMELN LASSEN
Gropiusstadt am Wochenende. Bewohner schlendern um ihre Hochhäuser herum. Der Bat-Yam-Platz funktioniert als öffentlicher Raum inmitten sozialen Wohnungsbaus frühlingshaft gut. Vor dem flachen Betonwürfel, in dem der „Balkan Grill“ untergebracht ist, sitzen Angeber-Jugendliche, die alten Leute gehen in das Gemeinschaftshaus daneben. Heute gibt es hier eine Hobbyausstellung. Ein Mann bemalt Butterkekse, ein anderer knüpft an einem Kettenhemd, zwei Frauen sitzen hinter einem pastellfarbenen Haufen Seidenmalerei. Eine Dame hat 500 Schildkröten-Figuren gesammelt, eine davon ist ein lustiger Tesa-Film-Spender.
Das Kulturamt Neukölln hat die Hobbyausstellung das erste Mal vor neun Jahren organisiert. Wie groß das Interesse an dem Thema ist, zeigt das Gästebuch: nur Lob und Selbstgedichtetes. Nicht einmal die sonst Gästebuch-typischen Hakenkreuze oder „Lehrer Krause fickt Bettina“-Obszönitäten sind zu finden. Als Grundschülerin war ich neidisch auf Menschen mit Hobbys. Um nicht völlig ohne Beruf und sinnentleert dazustehen, sammelte ich „Ratzefummel“. Ähnlich scheint es den Menschen hier zu gehen. Fast alle haben selbst gestaltete Visitenkarten, auf denen sie ihre Existenzberechtigung ausweisen. Hinter der Adresse steht: „Milchportionen-Deckeli-Treff“, „sammelt Einkaufswagenchips“ oder einfach nur „Hobbyist“.
Jeder hier hat Verständnis für die jeweils andere Lobbygruppe, und alle sammeln sowieso alles, um tauschen zu können. Solidarisch ist man gegen die drohende Schließung des Offenen Kanals. Die Gruppe „Neuköllner filmen Neukölln“ hat überall Protestzettel aufgehängt. Mit dem Hobby gibt es aber auch Probleme. Die Geschichte hinter dem traurigen Schild „Gebe Getränkedosensammlung auf“ konnte nicht herausgefunden werden. Alle klagen indes gemeinsam über Platznot. Die Puppenkleider-Kollektion frisst zu viel Wohnfläche. Immer enger wird es auch beim Einkauswagenchip-Mann, weil die ganze Familie sammelt. Das Tochter heftet Gaststättenrechnungen in Leitz-Ordner ab. „Damit man sieht, was es alles gibt.“ Ihr Bruder „sammelt Frauen“.
Ich stelle bei mir Interpassivität fest. Interpassivität beschreibt das Phänomen der Erleichterung beim Gucken einer Fernsehsoap mit eingespielten Lachern. Man ist entlastet, weil andere das Lachen übernommen haben. Genauso ist es mit dem Sammeln. Ich finde es prima, wenn Leute Kugelschreiber oder Brocken der Berliner Mauer massenweise in Kunstharz archivieren. Dann muss ich es nicht selber tun.
Zur Hobbyausstellung kommen Leute aus allen Bezirken und aus dem Umland zum Bat-Yam-Platz nach Gropiusstadt. Ich weiß nicht, wer oder was „Bat-Yam“ ist. Sicher spielte Bat-Yam keine unwichtige Rolle im Jom-Kippur-Krieg. Im Internet erscheint zum Stichwort das Foto von der 48-jährigen „Russian Lady“ Natalie. Sie wohnt in Bat-Yam, Israel. Natalie sucht einen Mann, der kein Trinker ist.
KIRSTEN KÜPPERS
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