piwik no script img

"Senat sitzt das ABM-Problem aus"

■ taz-Interview mit Holger Stümpel, Geschäftsführer eines Steilshooper Beschäftigungsprojekts mit 70 Arbeitsplätzen

, Geschäftsführer eines Steilshooper Beschäftigungsprojekts mit 70 Arbeitsplätzen

Als Mitarbeiter eines Beschäftigungsträgers bekommen Sie die ABM-Kürzungen direkt zu spüren.

Ja, der Kahlschlag ist ein Desaster für Hamburgs Arbeitsmarktpolitik. Seit Jahresbeginn haben schon 500 Menschen ihre Arbeit verloren. Jugendliche ohne Ausbildung, Langzeitsarbeitslose und alleinerziehende Frauen - sie waren eh schon vom Wohlstand unserer Boomtown abgekoppelt.

Was tun?

Es reicht nicht mehr aus, nur über soziale Brennpunkte zu reden. Den Leuten muß jetzt konkret geholfen werden. Sie haben ein Anrecht auf ihre Qualifizierungsmaßnahmen. Hamburg muß ein Notprogramm zur Überbrückung dieses Krisenjahrs aufstellen.

Sozialsentor Runde erklärte im taz- Interview (3. 4.), die Stadt habe dafür kein Geld.

Quatsch. Hamburg sitzt schon seit Anfang 1992 auf mehr als 20 Millionen Mark nicht-gebundener ABM-Mittel. Gleichzeitig wiederholt Runde, er wolle die gestrichenen Bundesmittel nicht durch Hamburger Zuschüsse ersetzen. Er will mitsparen. Mir scheint, er versteht seinen Job eher als Senatsbeauftragter fürs Krämerwesen denn als Sozialsenator.

Ein herber Vorwurf. Gibt es Belege?

Die Krönung ist, daß von den etwa 600 AB-Maßnahmen, die durch das Solidarpaktgeld noch nach Hamburg fließen, 100 für Stammstellen reserviert sind. Für diese Stellen war im Hamburger Haushalt '93 schon Geld eingeplant, nun soll das Arbeitsamt löhnen. Die Mittel fehlen für die Zielgruppe, die es dringend nötig hat. Ich finde das politisch obszön.

Runde sagt, daß die Länder mangels Geld keine kommunale Arbeitsmarktpolitik machen können.

Die haben sich total verrannt. In einer Situation, in der die sozialen Entwicklungen in Ballungsräumen wie Hamburg nach innovativem und unkonventionellem Handeln schreien, herrscht in der Sozialbehörde Wagenburgmentalität. Die Probleme werden ausgesessen, kreative Lösungsansätze sabotiert und Desinformation gestreut.

Desinformation?

Ja, solche abenteuerlichen Behauptungen wie die des Senators, daß aus den ABM-Komplementärmitteln Maßnahmen für ältere Arbeitslose oder für die Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern gezahlt würden. Das ist Quatsch. Für beides gibt es eigene Haushaltstitel. Was von den ABM-Mitteln jetzt wegen des Stellenabbaus nicht ausgegeben wird, spart die Stadt effektiv ein.

Was gibt es bei Ihnen für Ideen, wie Träger langfristig vom staatlichen Geldsegen unabhängig werden können?

Für einige wenige Projekte mag die Gründung von marktfähigen Betrieben drin sein. Bei unserer Zielgruppe ist das aber nicht nur schwierig, sondern auch nicht erstrebenswert. Wir verstehen uns nicht als Keimzelle zur Gründung mittelständischer Unternehmen. Unsere Projekte sind Durchlauferhitzer, wir bieten berufliche Qualifizierung an. Die ist ohne die Arbeitsmarktinstrumente unmöglich.

Die Beschäftigungsprojekte wollen ebenso wie städtische Träger Stellen für Sozialhilfeempfänger bekommen.

Das ist auch so ein Hamburger Beispiel. In fast allen Altbundesländern gibt es diese Stellen auch bei freien Trägern. Hier behauptet Runde, daß dadurch der sogenannte Zweite Arbeitsmarkt in die Luft fliegen würde. Ich habe den Eindruck, bei diesem Punkt dreht

1sich die Diskussion mehr um den Monopolerhalt der eigenen Seilschaften als um Hilfen für die Betroffenen.

Was soll der Senat denn tun?

Die vorhandenen ABM-Gelder und auch die Mittel aus anderen Töpfen, zum Beispiel Euro-Gelder, endlich dahin leiten, wo sie hingehören: zu den Teilnehmern in den Qualifizierungsprojekten. Wenn sich die Politik der letzten Monate fortsetzt, wird der Vertrauenskredit, den sich die Projekte in jahrelanger Stadtteilarbeit erkämpft haben, verspielt. Das kann doch nicht im Sinne von Senat und Bürgerschaft sein.

Ihre Forderungen haben bislang wenig gefruchtet. Ist Ihre Arbeit weniger wichtig, als Sie sie selber einschätzen?

Die Menschen, mit denen wir arbeiten, sind Langzeitarbeitslose, vom Arbeitsleben und der Gesellschaft seit Jahren ausgegrenzt. Die will die Regierung zwar als Wähler behalten, hat sie aber auch schon abgeschrieben. So richtig ist mit unserer Arbeit wohl öffentlich kein Blumentopf mehr zu gewinnen.

Und was, wenn sich in den nächsten Wochen nichts tut?

Dann sollte endlich das SPD-Gesummse von der Partei der kleinen Leute aufhören. Die sollen dann endlich zugeben, daß sie keine Kraft für arbeitsmarktpolitische Prioritätsentscheidungen haben. Das wäre für alle Betroffenen allerdings eine Katastrophe.

Fragen: Sannah Koch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen