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"Nach mir die Sintflut"

■ Tadeusz Kantor antwortet nach der Aufführung seines Stückes "Hierher kehre ich nicht zurück" in Mailand auf die Fragen von Piero Del Giudice

taz: Was bedeutet der Titel „Hierher kehre ich nicht zurück“? Tadeusz Kantor: Zunächst bezog er sich auf meine Heimat, auf Krakau, dann erweiterte sich die Bedeutung. Der Sinn dieses Schauspiels - seine wahre Bedeutung - ist die der Heimkehr. Darum der explizite, zentrale Bezug auf „Die Heimkehr des Odysseus“, ein Schauspiel von Wizspiaski, das ich während des Krieges in Krakau inszeniert habe. In Wizspiaskis Stück findet Odysseus weder sein Haus noch seine Penelope wieder. Jetzt, am Ende meines Lebens, komme ich auf dasselbe Thema zurück, wiederhole das gleiche Spiel. Das zentrale Motiv von Wizspiaskis Stück ist das der Heimkehr, und es war ja während des Krieges ein zentrales Thema. Alle wollten wieder nach Hause, und Millionen konnten nicht wieder heim. Das Motiv der Heimkehr spielt eine wichtige Rolle in all meinen Arbeiten. In „Wielopole, Wielopole“ ist es die Sehnsucht nach dem Dorf der Kindheit, „Die tote Klasse“ zeigt die Alten, die sich auf die Schulbank zurücksehnen... Sie schreiben: „Theater ist eine Arbeit an den äußersten Rändern des Lebens, dort, wo die Begriffe des Lebens ihre Bedeutun Die Spannung der künstlerischen Arbeit hat mit Kategorien zu tun, die nicht zu diesem Leben gehören, nicht zu unserem Alltagsleben. Wenn es also andere Kategorien sind, dann sind sie „jenseitige“. Einerseits bin ich Mystiker, andererseits ungläubig. Wenn ich auch kein ausgesprochener Materialist bin, so bin ich doch rational. Wenn ich von einer anderen Welt, vom Jenseits spreche, dann sind das poetische Metaphern. Stanislaw Witkiewicz - der Autor, unter dessen Stern unser Theater entstand, dessen Stücke ich immer wieder inszeniert habe - sagte ganz einfach: „Die Kunst geht nicht mit den Kategorien des Alltagslebens.“ Aber: Wo arbeite ich, in welchem Arbeitszusammenhang stehe ich? Meine Antwort: Im Alltagsleben. Ein Paradox. Der Künstler muß die Wand suchen, an der er sich den Kopf einrennt. Meine Wand ist Polen. Es ist viel zu einfach, über die Wirklichkeit hinwegzusehen und nur die Phantasie spielen zu lassen. Nach dem Surrealismus ist da ja alles möglich. Nach der Uraufführung von „Hierher kehre ich nicht zurück“ in Mailand gab es unter den Theaterleuten eine kleinen Streit. Einige nannten Ihr Theater politisch, anMein Programm war es nie, „politisches Thetaer“ zu machen. Aber es ist nun mal so: Alles, was wir sagen und tun, ist politisch. Ich spreche nicht gerne über dieses Thema, denn meine Landsleute würden sofort sa gen, ich sei ein „politischer“ Autor. Politisch, sozial, vor allem sozial. Ich bin für das individuelle Leben, das rein individuelle, gegen das alles beherrschende Signum unserer Zeit: die Ideologien der Masse, des Kollektivs, der Vermassung. Ich bin gegen all das, weil es gegen den Menschen ist. Der Mensch ist sein „Privatleben“. Und das ist politisch. Ich verabscheue das Kollektiv. Wir Individuen werden verlieren. Aber, nach mir die Sintflut. Ihr Vater steht wieder im Mittelpunkt eines Ihrer Werke... Mein Vater ging in den ersten Weltkrieg. Er starb aber nicht damals. Er ließ sich von meiner Mutter scheiden und verschwand aus meinem Leben. Gestorben ist er während des II. Weltkrieges in Auschwitz. Die Erklärung, die in „Hierher kehre ich nicht zurück“ von zwei Soldaten verlesen wird, ist exakt der Text des Telegramms, das meine Mutter im Januar 1944 erhielt und in dem es hieß, er sei an Herzversagen gestorben. Sie erklären in dem Stück, am 24. Januar 1944 sei in einer Straße in Krakau „Die Heimkehr des Odysseus“ klandestin aufgeJa, ich bin der Auffassung, das Kunstwerk gehört zu dem, was wir „Widerstand“ nennen. Der wahre Widerstand ist in meinen Augen ein geistiger - die Kunst. Ja. Was da während des II. Weltkrieges geschah, das ist sehr interessant. Die Dadaisten, die Künstler ganz allgemein, hatten sich in die USA gerettet. Nur wenige agierten in Europa. In Frankreich nur Picasso, in Deutschland natürlich niemand... Aber in Polen waren die Kriegsjahre, glaube ich, so paradox es sich anhört, die besten, was das künstlerische und kulturelle Leben angeht. Für mich ist die Ära des „Klandestinen Theaters“ künstlerisch die beste meines Lebens gewesen. Eine Art Paradies: Es gab keinen Kulturminister. Wir waren allein, auf uns allein gestellt, ohne Autoritäten. Die Deutschen waren keine Autoritäten. Das waren Besatzer. Es gab also niemanden, der etwas von den Künstlern forderte, nein, die Freiheit war total. Vor zehn Jahren trafen sich in Krakau die wieder, die in Krakau während der Besatzung klandestin gearbeitet hatten. Eine Frau, die während des Widerstands sehr aktiv gewesen war, sagte damals zu mir: „Dann sind Sie ja ein Held des Widerstandskampfes!“ „Nein, nein, ich bin ein Feigling“, entgegnete ich ihr. Ich würde niemals in den Krieg ziehen. Während des Krieges wurde mein Theater als ein Teil des Widerstandes betrachtet, aber ich löste damals die schwierigsten und brennendsten künstlerischen Probleme. Sicher, es war riskant, aber wir fühlten uns wunderbar, waren jung, alles war ein großes Abenteuer, wir hatten Mut jede Menge und keine Ahnung.

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