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■ NEU IN DER SCHAUBURG"Marquis" von Roland Topor

hier das Foto

mit den

Puppen

In diesem Film sind nicht nur alle Viecher — sie betragen sich auch wie solche! Obwohl man Ratten, Schweine, Gockel und Hunde ja eigentlich in Schutz nehmen muß, gegen die Schweinereien, die wir zweibeinigen Säuger so gerne und genüßlich auf sie projizieren — wobei wir doch eigentlich immer nur uns selbst meinen. Der Schriftsteller und Zeichner Roland Topor stellt sich in die lange und gute Tradition von Grandville oder Goya, wenn er (zusammen mit Regisseur Henri Xhonneux) in seinem Film aus dem Marquis de Sade einen Hund

macht und aus dem ewigen Opfer Justine eine Kuh. Ein Jesuit tritt da als Kamel auf, ein Journalist als Fisch und der Gouverneur der Bastille stolziert herum und kräht wie ein Gockel.

Die Puppen und von Schauspielern getragenen Masken wirken so ausdrucksstark, witzig und lebendig, daß sie sich durchaus mit den Schöpfungen von Jim Henson messen können — „Marquis“ ist eine unzüchtige Muppetshow. Da werden sexuelle Merkwürdigkeiten gezeigt, die alle anatomischen und physikalischen Möglichkeiten sprengen und der beste Freund des in der Bastille eingekerkerten Marquis ist sein Schwanz Colin. Mit diesem glatzköpfigen Kerlchen führt er kluge philosophische Gespräche, und zum glücklichen Ende des Films läßt er ihn frei in die Welt hinaus ziehen.

Dieses surrealistische Sittengemälde des Frankreich in den Tagen vor der Revolution ist aber auch ein „Portrait des Autors als Hund“, denn trotz aller mit schwärzestem Humor präsentierten Monstrositäten haben der Marquis und sein Schwanz, im Gegensatz zu den anderen Figuren des Films, eine überraschend menschliche Würde. Die beiden fechten den ewigen Kampf zwischen „Body and Soul“, denn die wahre Leidenschaft des Marquis ist das Schreiben. Verzweifelt ist er nur, wenn seine Manuskripte verschwunden sind, und der verführerischen Justine liest er (sehr zum Verdruß von Colin) am liebsten aus seinen Werken vor. Ausgerechnet mit diesem ganz und gar unanständigen aber nie pornographischen Film wollen Topor und Xhonneaux den schlechten Ruf des Marquis de Sade verbessern. Er ist ihr Held und ein „Philosoph der Freiheit“. Wilfried Hippen

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